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Einwanderung auf Holländisch

In Amsterdams Strassen ist die Multikulturalität allgegenwärtig. © Thomas Buser/swissinfo.ch

Die Niederlande haben ein leicht schizophrenes Verhältnis zur ihren Einwanderern. Viele Holländer halten nach wie vor am Bild einer offenen und toleranten Nation fest, und auch im Ausland geniesst das Land ein liberales Image. Doch der Schein trügt.

Immigrationsfeindliche Rechtsaussen-Parteien gewinnen immer mehr an Einfluss, wie der Erfolg des Populisten Geert Wilders bei den Europawahlen belegt. Zudem werden regelmässig neue, teils skurrile, Einwanderungs-Beschränkungen eingeführt.

Lange waren die Grenzen Hollands offener als diejenigen anderer europäischer Länder und viele Menschen kamen in die Tulpennation: aus Marokko, der Türkei und den holländischen Ex-Kolonien in Indonesien, der Karibik und Surinam.

Eine Integrationspolitik gab es nicht, und viele Einwanderer lebten bald in eigentlichen Ghettos. Auch aus den in Holland geborenen Generationen schafften es längst nicht alle, sich zu integrieren. Das Thema Jugendkriminalität in den so genannten «Rückstandsquartieren» ist ein Dauerbrenner in Medien und Politik.

Ein viel gehörter Vorwurf ist, dass die Einwanderer zu konservativ seien, die traditionellen niederländischen Werte der Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Homosexuellen nicht teilten und die Rechte der Frauen nicht respektierten.

Um Einwanderungswillige vorab über ungewohnte Sitten aufzuklären hat die Immigrationsbehörde nun ein Video produziert, auf dem knutschende gleichgeschlechtliche Paare und nacktbadende Holländer zu sehen sind. Und um ganz sicher zu gehen, wird der Zuschauer auch gleich informiert, dass Genitalverstümmelungen und Ehrenmorde in Holland illegal seien. Das Video ist für Visumanwärter Pflicht.

Kampf den Importbräuten

Aufgrund des toleranten Selbstverständnisses der Holländer war eine öffentliche Debatte zum Thema Migration lange Zeit tabu. Dass der liberale Schein trog und es unter der Oberfläche brodelte, wurde klar, als 2001 der Rechtspopulist Pim Fortuyn auf der politischen Szene auftauchte.

Der homosexuelle Provokateur erreichte mit einer abwegigen Mischung aus hedonistischem Lebensstil und islamfeindlichen Parolen schnell Prominenz und war bei Lokalwahlen in Rotterdam sehr erfolgreich.

Fortuyn wurde 2002 ermordet, bevor er in die nationale Politik eingreifen konnte. Doch andere Akteure wie Geert Wilders und Rita Verdonk zielen heute erfolgreich auf dasselbe Wählersegment ab.

Das Hauptaugenmerk richtete sich bald auf arrangierte Ehen von Einwanderern marokkanischer und türkischer Abstammung mit so genannten «Importbräuten», meist ungebildeten Mädchen aus ländlichen Regionen. Da die meisten Immigranten aber unterdessen die holländische Staatsbürgerschaft angenommen hatten, wurden generell die Regeln für Partnerschaften zwischen Holländern und nicht-EU Ausländern verschärft.

So kämpfte ein holländischer Freund von mir fast zwei Jahre lang mit den Behörden, bis seine amerikanische Frau endlich die definitive Aufenthaltsbewilligung bekam. Interessant ist, dass hiervon nur die Holländer betroffen sind. In Holland lebende EU-Ausländer profitieren bei der Partnerwahl noch immer von den toleranten Regeln der Vergangenheit.

Mit Blumen zur Integration

Wenn also ein Holländer seine ausländische Freundin heiraten und mit ihr in den Niederlanden zusammen wohnen möchte, muss sie zuerst einmal Sprach- und Integrationskurse besuchen – zu Hause in ihrem Heimatland wohlgemerkt.

Um ein provisorisches Visum für die Niederlande zu erhalten, muss sie dann einen Test bestehen, in dem sie tiefschürfende Fragen beantworten muss wie «Wenn während der Kaffeepause die Keksdose herumgereicht wird, wie viele Kekse nehme ich dann?» (richtige Antwort: einen).

Erwartungsgemäss fallen die meisten Holländer, die den Test aus Neugierde machen, mangels ungenügenden Wissens über die «holländische Kultur» durch.

Nach der Ankunft in Holland folgen dann weitere Sprach- und Integrationskurse. Dabei lernt man, dass in Holland abends früh gegessen wird und man bei Einladungen Blumen mitzubringen hat.

Liebesbeweis

Aber die liberalen Sozialnormen der Holländer spiegeln sich noch immer in den Einwanderungsregeln wider: Unverheiratete Paare geniessen dieselben Rechte wie Ehepartner, Schwule und Lesben werden genauso behandelt wie Heteros.

Da es nun aber ein leichtes wäre, seinen Cousin dritten Grades als Lebenspartner auszugeben, um ihn ins Land zu holen, müssen vereinigungswillige Paare ein ganzes Paket an Beweisen abliefern. Die Immigrationsbehörde verlangt nebst genauen Angaben zum Verlauf der Beziehung Kopien von Liebesbriefen, Fotos, Mietverträgen und E-Mail-Korrespondenz.

Ein weiterer kleiner Schritt zur Verringerung der Attraktivität der Niederlande als Einwanderungsland war die Verringerung der Kundenfreundlichkeit der Immigrationsbehörde.

Kommuniziert wird jetzt grundsätzlich nur noch in schönstem Juristenholländisch, was dazu führt, dass sogar chinesische Austauschstudenten, die ein Jahr in unserem Institut verbringen möchten, von der königlichen niederländischen Botschaft in Peking Briefe auf Holländisch erhalten, die ihnen die Sekretärin in Amsterdam dann übersetzen muss.

Thomas Buser, Amsterdam, swissinfo.ch

Immer häufiger reisen auch Jugendliche für längere Zeit ins Ausland.

Studenten profitieren von Austauschprogrammen.

Zu ihnen gehört Thomas Buser, der in Amsterdam seine Doktorarbeit in Entwicklungsökonomie verfasst.

Von dort berichtet er für swissinfo über seine Erlebnisse.

Geboren am 18.09.1980 in Basel. Zur Schule ging er in Oberwil, Kanton Basel-Landschaft.

Er studierte an der HEC Lausanne Volkswirtschaft und schloss später an der University of Warwick in England mit Master ab.

Dazwischen arbeitete Buser mehrere Monate in Tansania und Polen.

Reisen ist eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. So war er bereits in Skandinavien, Osteuropa und Südamerika unterwegs. Auch Kochen, Jassen, Lesen und Konzertbesuche gehören zu seinen Hobbys.

Zudem produziert er mit Freunden einen Podcast «über alles, was den Rock’n’Roll nicht sterben lässt». Diesen kann man downloaden unter: http://asdfghjkl.ch/podcast/.

Neben seiner Muttersprache Deutsch spricht Buser Englisch, Französisch und Spanisch. Zur Zeit ist er daran, Niederländisch und Portugiesisch zu lernen.

Seit September 2007 lebt und studiert der 28-jährige Basler in Amsterdam.

E-Mail-Adresse: thomas.buser@gmail.com

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