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Kaspar Villiger verlässt die Regierung

Noch nicht in Abschiedsstimmung: Bundesrat Kaspar Villiger vor den Medien. Keystone

Kaspar Villiger tritt Ende Jahr aus dem Bundesrat zurück. Die Bundeskanzlei gab die Demission des freisinnigen Bundesrates am Dienstag bekannt.

1989 in die Regierung gewählt, stand der Luzerner zuerst dem Verteidigungs-, ab 1995 dem Finanzministerium vor. Seine Nachfolge wird im Dezember vom Parlament gewählt.

Jedes Mal, wenn sich ein Bundesrat zurückzieht, kommt dies in der Schweizer Politik einer kleinen Sensation gleich, allen wiederkehrenden Diskussionen um die Zauberformel zum Trotz. Da die Regierung aus sieben Bundesräten besteht, fallen Rücktritte nicht allzu häufig an.

Im Durchschnitt sitzt ein Bundesrat zehn Jahre in der Schweizer Regierung. Der freisinnige Luzerner Kaspar Villiger hat diesen «Benchmark» übertroffen: Er tritt nach 14 Jahren Regierungstätigkeit ab. Doch Konstanz ist nicht seine einzige Qualität.

Vorsicht wurde zu Tugend

Villigers Vorgehen auch beim Rücktritt ist ein Abbild seines geraden politischen Stils: Unspektakulär, immer der Sache und dem Gemeinwohl verpflichtet und fern jeglicher effekthascherischen Inszenierungen.

In den vergangenen Jahren traten die meisten von Villigers Kolleginnen und Kollegen aufgrund parteipolitischer Strategieüberlegungen zurück: Sie taten dies oft nach der ersten Halbzeit einer Legislaturperiode. Oder besser noch knapp vor den politischen Wahlen, um dem Nachfolgenden die Möglichkeit zu geben, sich zu profilieren. Dies nützte jeweils auch der entsprechenden Partei.

Der Finanzminister jedoch wollte mit seinem transparenten und kalkulierbaren Vorgehen das Wahlkampfklima nicht zusätzlich anheizen. Der passionierte Velofahrer gilt als bedächtig, integer, arbeitsam und pflichtbewusst. Aus seiner Vorsicht hat er eine Tugend gemacht.

Kein einfacher Start

Als Villiger 1989 Bundesrat wurde, war der überstürzte Abgang von Parteikollegin Elisabeth Kopp aus dem Innenministerium das alles dominierende Thema. Die erste Frau im Bundesrat sorgte für einen der grössten Skandale auf der sonst beschaulichen Schweizer Politbühne: Die Justizministerin musste abtreten, weil sie ihren Ehemann über gegen ihn laufende Finanzuntersucherungen informiert hatte.

Als Folge der Affäre Kopp verlor die freisinnige Partei ihren Anspruch auf das Departement des Inneren. Der Neuling Villiger musste sich mit dem Verteidigungs-Departement «begnügen», einem weniger kreativ eingestuften Ressort.

Er verpasste der Landesverteidigung jedoch sogleich eine tiefgreifende Reform, ohne den Zorn der politischen Rechten auf sich zu ziehen. Und verschaffte sich dadurch gleichzeitig den Respekt der Linken.

«Schuldenminister»

1995 wechselte der ehemalige Fahrrad- und Zigarren-Fabrikant liberaler Prägung ins Finanzministerium. Und sah sich dort umgehend mit dem Skandal rund um das Nazigold und die Holocaust-Gelder auf Schweizer Banken konfrontiert.

Der Druck jüdischer Organisationen aus den USA führte dazu, dass sich die Schweiz offiziell für ihre geschichtliche Verantwortung entschuldigen musste. Es lag 1995 an Bundesrat Villiger, diese für die Schweizer Regierung äusserst delikate und von der US-Öffentlichkeit mit Spannung erwartete Erklärung abzugeben.

Mit einem würdigen Auftritt vermochte Villiger eine jahrzehntelange moralische Schuld aus der Vergangenheit der Schweiz abzubauen. Für die wirtschaftliche Wiedergutmachung sorgten die Schweizer Banken mit der Bereitstellung von über einer Milliarde Franken für die Inhaber und Hinterbliebenen von nachrichtenlosen Vermögen auf Schweizer Konten.

Die alte Platte

Doch bald darauf kehrten die ungeliebten roten Zahlen des Schweizer Finanzhaushaltes wieder ins Rampenlicht. Villigers Lösungsvorschläge fanden aber bei den Schweizer Parlamentariern keine Gnade. Zumindest in diesem Punkt erging es dem bürgerlichen Villiger nicht besser als seinem sozialdemokratischen Vorgänger Otto Stich.

Traditionell schwierige Beziehung zum Parlament

Mit seiner Kompetenz und seinem Format entwickelte sich Villiger trotzdem zum starken Mann in der Bundespolitik der Neunzigerjahre. Doch Beobachtern fiel auf, dass seine gerade Linie mehr als einmal wegen des neuen politischen Stils eine Kurve nahm.

Beispielsweise hatte Villiger sich jahrelang vehement für die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer eingesetzt. Zuletzt musste er aber klein beigeben, desavouiert von der eigenen Partei. Denn diese setzte sich auf Kantonsebene vehement für die Abschaffung der Erbschaftssteuer ein.

In den letzten Jahren veränderte sich das politische und wirtschaftliche Klima stark. Einer Politikergeneration entsprungen, die mit den festen Werten von Konkordanzpolitik und Wirtschaftswachstum aufgewachsen war, suchte Kaspar Villiger stets den Ausgleich und bekannte sich zum Kompromiss. Genau wissend, damit dem Unspektakulären verhaftet zu bleiben. Nüchterne Sachargumente haben bei Parlament und in der Öffentlichkeit jedoch zunehmend einen schweren Stand, und beim Thema Sparen stellt sich das Parlament aus Tradition taub.

Erfolg hatte der abtretende Villiger immerhin mit seinem Kompromiss zur Rettung des Schweizer Bankgeheimnisses. Er schlug vor, Zinserträge auf Guthaben von EU-Bürgern auf Schweizer Konten mit einer Quellensteuer zu belegen. Damit erhielt sowohl das Plazet aus Bundesbern und der Bankbranche wie auch aus Brüssel.

Zwischen Lob und Tadel

Nach 14 Dienstjahren zieht sich Kaspar Villiger nun zurück. Viele loben ihn, andere ziehen eine negative Bilanz. Seine Qualitäten als liberaler «Mediator» scheinen im politisch polarisierten und auf Medienecho ausgerichteten Klima von heute eindeutig weniger gefragt zu sein.

Die Interessen, auch jene in seiner eigenen Partei, sind zusehends fragmentierter geworden. Auch als Bundesrat geniesst man nicht mehr jene Unabhängigkeit, Zurückhaltung und diskrete Kollegialität, wie sie Villiger so am Herzen lagen.

Das Rennen um die Nachfolge eröffnet

Zwei Namen werden zur Stunde rund um die Nachfolge von Villiger am häufigsten genannt: Franz Steinegger und Christine Beerli. Fest steht nur, dass der neue Bundesrat aus der Deutschschweiz kommen muss.

Der langjährige FDP-Parteipräsident und Expo-Retter Steinegger war 1989 fraktionsintern an Villiger gescheitert. Der 60jährige Co-Favorit ist Urner Nationalrat. Ihn konkurriert die 50-jährige Berner Ständerätin Christine Beerli.

Gesprochen wird ausserdem vom 55-jährigen Schaffhauser Nationalrat Gerold Bührer – einem Kenner in Sachen Finanzen. Als «Wirtschaftsfreisinniger» findet er auch bei der SVP mehr Anklang als die eher als linksliberal erachteten beiden Co-Favoriten.

Auch Hans-Rudolf Merz, der 61-jährige Ausserrhoder Ständerat, gilt als Mann der Wirtschaft. Nur teilt er mit Steinegger ein gewisses «Altershandicap». Als «Alternativfrau» zu Beerli könnte sich die Aargauer Nationalrätin Christine Egerszegi anbieten.

swissinfo, Daniele Papacella
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander P. Künzle)

Kaspar Villiger wurde 1989 Verteidigungsminister, 1995 Finanzminister
1995 und 2002 war er Bundespräsident
Vorher hatte der Freisinnige mit seinem Bruder ein Zigarren- und Fahrrad-Unternehmen geführt

Der 62-jährige Kaspar Villiger tritt nach 14 Jahren im Bundesrat zurück.

Wirtschaftskrise, einbrechende Steuereinnahmen und die ungebremste Ausgabe-Freude des Parlaments waren Villigers grösste Herausforderungen.

In seiner Amtszeit erhöhte sich der Anteil der öffentlichen Ausgaben am Bruttosozialprodukt von 11,2% auf 12,5%.

Ende 2002 erreichten die aufgelaufenen Schulden des Bundes die Höchstmarke von 122 Mrd. Franken.

Villiger war Befürworter der Finanzspritze des Bundes von rund zwei Mrd. Fr. für die Swissair/Swiss.

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