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Schneeberge, Wolkenschönheit, Wettertannen

Emil Nolde, Matterhorn, Aquarell, Nolde-Stiftung Seebüll. Nolde Stiftung Seebüll

Norddeutsche Landschaften und stürmisches Meer: Dafür ist der Maler Emil Nolde bekannt. Weniger bekannt ist, dass er auch die Bergwelt liebte und den Grundstein seiner Karriere in der Schweiz legte. Eine Ausstellung in Berlin zeigt seine "Schweizer Werke".

Wer mit Emil Nolde bisher nur farbintensive Aquarelle von friesischen Marschen oder der wogenden See verband, den mag die Ausstellung überraschen, die derzeit in der Berliner Dependance der Nolde Stiftung zu sehen ist. Unter dem Titel «Der Berg ruft – Emil Nolde und die Schweiz» sind hier mehr als 100 Werke des norddeutschen Künstlers versammelt, welche die Schweizer Bergwelt zum Thema haben. Auf eindrucksvolle Weise illustrieren sie Noldes Liebe zu den Bergen und zur Schweiz.

Lebenslange Verbundenheit

Wenn ein Norddeutscher in die Schweiz geht, dann wohl zum Geldverdienen, Skifahren oder zur Kur. Im Falle Noldes jedenfalls trifft dieses Klischee zu. Im Jahr 1891 hatte er in Berlin zufällig die Ausschreibung einer Lehrerstelle am Industrie- und Gewerbemuseum St. Gallen gesehen. Der ausgebildete Holzbildhauer und Möbelzeichner bewarb sich und wurde genommen – unter 34 Bewerbern. 

Von 1892 bis 1897 unterrichtete er in St. Gallen ornamentales Zeichnen und lieferte kunstgewerbliche Entwürfe für die handwerkliche Produktion. Obwohl die Lehrtätigkeit ihn nicht befriedigte und er gesellschaftlich wenig Anschluss fand – er sprach kein Schwyzerdütsch –, prägten diese Jahre den jungen Mann entscheidend.

Hier feierte er seinen ersten Erfolg als Künstler mit einer Serie von Postkarten, die Berggipfel mit märchenhaft-grotesken, menschlichen Gesichtern zeigen. Der finanzielle Erfolg, den er mit dem Verkauf der Postkarten hatte, erlaubte es ihm, seine Stelle aufzugeben und als freier Künstler zu arbeiten. In dieser Zeit entstand auch sein Aquarell «Sonnenaufgang», das einen rotglühenden Sonnenaufgang in den Bergen zeigt und als wegweisend für seine spätere künstlerische Entwicklung gilt.

Bis ins hohe Alter reiste Nolde, ab den 1920er Jahren ein führender Vertreter des Expressionismus, immer wieder in die Schweiz – sei es, um seinen engen Freund aus der St. Gallener Zeit, Hans Fehr, zu besuchen, seiner Frau Ada die Alpenwelt zu zeigen oder um auf Kur zu gehen. Und immer wieder schwelgte er dann «in der massigen Großartigkeit der Berge», wie er es in seiner Autobiografie beschreibt: «…immer führte ich meine Aquarellfarben mit, malend, wo ich es konnte, die Schneeberge, die Wolkenschönheit, die Wettertannen».

Emil Nolde gilt als einer der führenden Maler des Expressionismus und zugleich als einer der grossen Aquarellisten des 20. Jahrhunderts.

Als Emil Hansen wird er am 7. August 1876 als sechstes Kind eines Bauern im Dorf Nolde nahe der deutsch-dänischen Grenze geboren. Er erhält eine Ausbildung als Holzbildhauer und Möbelzeichner.

Von 1892 bis 1897 lebt er als Zeichenlehrer in St. Gallen. Er wird Mitglied im Schweizer Alpenclub. Zu seinem Privatschüler Hans Fehr entsteht eine lebenslange Freundschaft.

Er wird Mitglied in der Künstlergruppe «Brücke» und der «Berliner Secession». Er unternimmt viele Reisen, unter anderem in die Südsee. Immer wieder reist er jedoch auch in die Schweiz. Zum letzten Mal im Jahr 1948 auf Hochzeitsreise mit seiner zweiten Frau.

1941 erhält Nolde Malverbot. Heimlich entsteht die Folge der «Ungemalten Bilder», mehr als 1300 kleinformatige Aquarelle.

Nolde stirbt im April 1956 in Seebüll.

Die Ausstellung «Emil Nolde und die Schweiz» in der Berliner Dependance der Nolde Stiftung ist noch bis zum 14. April 2013 zu sehen.

«Meine Freunde, die Berge»

«Meine freie Zeit verlebte ich soviel als möglich, gedanklich und wirklich, bei meinen Freunden, den Bergen», schreibt Nolde über seine Jahre in St. Gallen. Er war dort ein begeisterter Bergsteiger geworden, bezwang Monte Rosa, Jungfrau und 1896 sogar das Matterhorn. Er liebte die Bergwelt für ihre «Natur in ihrer Ursprünglichkeit», wie sie übrigens auch in der kargen norddeutschen Marschlandschaft zu finden ist. Seine Eindrücke hielt er in Aquarellen fest, die er entweder vor Ort oder später aus der Erinnerung malte.

Sie zeigen schneeweisse Berghänge und blau-schattige Felswände, der Himmel darüber mal tiefblau, mal goldgelb oder rot glühend im Sonnenuntergang. Mächtig und ruhig liegen die Bergmassen, rot und violett leuchten Mohn und Alpenveilchen vor blau-weissen Gebirgszügen, dunkel stehen Tannen in nächtlicher Berglandschaft. Und immer wieder spiegeln sich in Bergseen dunkle Gipfel und rot-orange glühende Wolken, im Sonnenlicht entflammt.

Das Spiel der Farben am Himmel und auf den Berghängen zu verschiedenen Tageszeiten faszinierte Nolde. Noch als ihm die Nationalsozialisten 1941 ein Malverbot erteilt hatten, malte er heimlich und zurückgezogen in seinem Atelier an der Nordsee auch immer wieder Bergmotive in kräftigen Farben.

Die hoch in den Himmel aufragenden Gipfel und Grate des Hochgebirges auf den Bergaquarellen lassen sich dabei manches Mal kaum von den hohen, mit weisser Gischt gekrönten Brechern der stürmischen Nordsee unterscheiden, für die Nolde später so bekannt geworden ist.

Für Nolde-Fans und Bergbegeisterte

Die Ausstellung über die Schweizer Jahre Noldes zeigt neben den Bergaquarellen sein erstes Ölgemälde mit dem Titel «Bergriesen», besagte Bergpostkarten im Original und Nachahmungen davon, Zeitungsartikel über Nolde aus Schweizer Zeitungen der 1890er Jahre, einen Film über sein Leben sowie einige Arbeiten, die er als Lehrer gefertigt hat. Der Besucher bekommt so einen umfassenden Eindruck von Noldes Schweizer Jahren.

Auch die Veranstaltungen im Rahmenprogramm mögen sowohl Nolde-Fans als auch Bergbegeisterte in die Nolde-Stiftung Berlin locken: auf dem Programm stehen das Klassikkonzert «Die Glocken von Genf», ein Vortrag zum Thema «Bergwelten – Nolde trifft Kirchner» sowie die Lesung «Wie hoch sind die Berge» mit dem Schweizer Autor Peter Stamm.

Ein gleichnamiger Text Stamms leitet auch das Lesebuch «Emil Nolde und die Schweiz» ein, das zur Ausstellung anstelle eines Kataloges erschienen ist und unter anderem Auszüge aus Noldes Autobiografie enthält. Hierin schreibt Stamm: «Man kann auf einem Gipfel am Himmel stehen, wie man am Meer steht, kann hinausschauen ins Unendliche aus Wasser oder Luft. Die Nähe zum Himmel spürt man am besten auf jenen ganz engen Berggipfeln, die nur wenige Quadratmeter gross sind.» Das mag auch Nolde empfunden haben, wenn er in den Schweizer Bergen unterwegs war.

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