«Aber das Stimmrecht auf ewig? Bitte nicht mehr»
Er stand am Anfang der aktuellen Diskussion um das Stimmrecht für Auslandschweizer. Claudio Kuster ist politischer Sekretär des Schaffhauser Ständerats Thomas Minder und Co-Urheber von dessen "Abzocker-Initiative". Er führt einen BlogExterner Link über Demokratiefragen. Im Interview erklärt Kuster, was er am Stimmrecht der Fünften Schweiz kritisiert.
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swissinfo.ch: Ihre Forderungen, das Stimmrecht für Auslandschweizer zu diskutieren, sorgte wiederholt für heftige Reaktionen. Ging es einfach um die Provokation?
Claudio Kuster: Ich verstehe die negativen Reaktionen der Betroffenen, es ist vielleicht ein Tabubruch. Es wirkt auf den ersten Blick ja fast so, als würde man sagen, die Frauen dürfen künftig wieder nicht mehr mitreden.
Wenn ich diesen Leuten aber erkläre, dass es Auslandschweizer gibt, die noch nie in der Schweiz waren, dass selbst deren Kinder über die Schweiz mitbestimmen können, stosse ich regelmässig auf Verständnis.
swissinfo.ch: Wie kamen sie denn zum Thema?
C.K.: Im Bundesparlament war vor geraumer Zeit die Frage zu beantworten, ob der Bund den Kantonen Vorschriften in Sachen Ausländerstimmrecht machen sollte. Als Sekretär von Ständerat Minder habe ich mich daher in dieses Thema eingelesen.
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Der lange Weg der Auslandschweizer zu Bürgern erster Klasse
Da geht es um das Betroffenheitsprinzip, das Territorialitätsprinzip, das Singularitätsprinzip. Wenn man sich demokratie-theoretisch damit auseinandersetzt, steht automatisch die Frage im Raum: «Wer gehört eigentlich zur Stimmbürgerschaft, und wer nicht? Wer soll mitbestimmen und wer nicht?»
swissinfo.ch: Ihr Fokus liegt in der Beschränkung aufs Stimmrecht für ausschliesslich nationale Vorlagen. Warum?
C.K.: Man kann durchaus argumentieren, dass ein Schweizer – ein Expat, eine Studentin –, der seit einigen Jahren im Ausland wohnt, seinen Bezug zur Schweiz noch hat. Er ist von den Entwicklungen im Land betroffen, vielleicht hat er vor, wieder zurück zu kommen. Aber in einer Gemeinde, in der er vor Jahren vielleicht zufälligerweise eine Zeitlang gelebt hat?
Wenn ein Auslandschweizer von Berlin aus bestimmen soll, ob in Flurlingen im Kanton Zürich eine Turnhalle gebaut werden soll oder nicht, dann ist es völlig abstrus.
Wenn ein Auslandschweizer von Berlin aus bestimmen soll, ob in Flurlingen im Kanton Zürich eine Turnhalle gebaut werden soll oder nicht, dann ist es völlig abstrus. Vielleicht hat er gar nicht einmal je in Flurlingen gewohnt, denn man kann wählen, ob man sich bei einer Wohngemeinde oder dem Heimatort ins Stimmregister eintragen lässt.
Auslandschweizer können also in einigen Kantonen in Gemeindesachen mitbestimmen, in denen sie unter Umständen noch nie im Leben gewohnt haben.
swissinfo.ch: Tatsächlich schliessen die Gesetze in 14 der 26 Kantone schon heute Auslandschweizer von kantonalen Entscheiden aus, etwa in weiten Teilen der Ostschweiz. Das wird als ungerecht empfunden. Wenn Sie nach Japan gehen, bleiben Sie doch auch Schaffhauser, nicht?
C.K.: Nein, dort wäre ich in erster Linie Schweizer. Aber es geht mir auch um die Meinungsbildung vor Abstimmungen und Wahlen. Im Ausland kann man sich zugegeben eine Meinung bilden bei nationalen Vorlagen dank swissinfo.ch, der Schweizer Revue und den Online-Medien.
Aber bei kantonalen Kampagnen oder sogar kommunalen: Wie soll ein Regierungsratskandidat oder ein kantonales Referendumskomitee jene Leute erreichen? Oder wie gelangte ich etwa bei der Wahlkampagne für Ständerat Minder an die Auslandschaffhauser in Thailand, Brasilien und Kanada ran?
Das ist praktisch unmöglich, ich erhalte ja nicht einmal die Adressen der Schaffhauser Stimmbürger. Darum finde ich dieses Konstrukt äusserst fragwürdig.
swissinfo.ch: Man kann heute Bewegung in dem Thema feststellen. Sehen Sie etwas am Horizont, das zu einer ernsthaften Veränderung führen könnte?
C.K.: Die Grundlage für eine Initiative sehe ich nirgends. Bis jemand diesen Aufwand auf sich nimmt, muss ein gröberes Problem vorliegen, und dieses besteht nicht. Aus Sicht der SVP (der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei, die Red.) wiederum ist es das dringendere Anliegen, dass Mehrfachbürgerschaften nicht mehr zugelassen werden.
Dies würde wohl dazu führen, dass Schweizer, die schon länger weg von der Heimat sind, tendenziell eher nicht mehr den Schweizer Pass behalten würden.
Nach fünf, allerspätestens zehn Jahren im Ausland ist man doch einfach nicht mehr temporärer Auswanderer.
Eine wichtigere Entwicklung jedoch: Das Auslandschweizer-Stimmrecht kommt nun immerhin auf kantonaler Ebene unter Beschuss. Im Kanton Zug und im Kanton Aargau sind derzeit Wahlgesetze in Revision, dort wird das diskutiert.
Bis anhin winkte man die Thematik in den Kantonen einfach durch. In Zug zeigt sich nun Skepsis unter den etablierten Parteien. Im Aargau erwarte ich dasselbe.
swissinfo.ch: Wasser auf Ihre Mühlen?
C.K.: Mein Fazit ist einfach: Wenn schon, dann bitte mit Karenzfristen. Nach fünf, allerspätestens zehn Jahren im Ausland ist man doch einfach nicht mehr temporärer Auswanderer. Irgendwann ist man eben Kanadier. Dann partizipiert man gegebenenfalls dort, aber nicht mehr in der Schweiz.
Über die Dauer kann man diskutieren. Aber Schweizer Stimmrecht auf ewig? Bitte nicht mehr. Das entspricht übrigens auch den Regelungen in andern Ländern, welche ein Auslandbürgerstimmrecht kennen.
swissinfo.ch: In andern Ländern werden die Bürger viel seltener zur Urne gerufen. Sind wir nicht zu Recht stolz auf unsere breite demokratische Partizipation?
C.K.: Klar, aber sie ist auch nicht perfekt. Interessant daran ist: Man führte dieses Stimmrecht ein, ohne wirklich zu überlegen, wie es ausgestaltet werden soll. Bis in die 1980er-Jahre durften die Auslandschweizer zum Beispiel nur abstimmen, wenn sie sich gerade zufällig in der Schweiz befanden.
Während des Kalten Krieges wollte man nicht, dass aus dem Ausland in den Betrieb der Schweiz gefunkt werden konnte und umgekehrt. Die briefliche Stimmabgabe kam dann erst später dazu.
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