
EU/Währungsfonds fordert von Europa grosse Reformen
FRANKFURT (awp international) – Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Europa zu weitreichenden Reformen aufgefordert. Die Staaten müssten gemeinsam alles unternehmen, um die Wirtschaft wieder auf einen anhaltenden Wachstumskurs zu bringen und das europäische Sozialmodell zu retten, sagte IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn am Freitag auf dem Europäischen Bankenkongress in Frankfurt. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mahnte, die Politik dürfe im Reformtempo und bei der Sanierung der öffentlichen Haushalte nicht nachlassen.
«Europa muss die Fesseln des schwachen Wachstums durchbrechen und darf sich nicht länger mit dem Zweitbesten begnügen», sagte der IWF- Chef. Zuerst müsse die Finanzbranche wieder gestärkt werden, danach müssten die Arbeitsmärkte vereint werden. «Der Euroraum kann sein wahres Potenzial nicht mit dem verwirrenden Flickenteppich kleingeteilter Arbeitsmärkte heben.» Er mahnte auch, angesichts der demografischen Entwicklung dürfe Einwanderung nicht ausgeschlossen werden.
Die Finanzkrise habe die Schwächen Europas ans Licht gebracht. «Die einzige Antwort ist eine engere Zusammenarbeit, eine stärkere Integration», sagte Strauss-Kahn vor mehreren hundert Bankern, Experten und Politikern. Er forderte auch eine stärkere Zentralisierung. «Wenn sich das Zentrum um die Vorhaben kümmert, passiert was. Aber wenn die Vorhaben den Ländern überlassen wird, gerät alles ins Stocken.»
Europa habe schon ähnliche Herausforderungen bei der Schaffung des gemeinsamen Marktes oder der Einführung des Euro gemeistert. «Es kann es wieder tun. Es ist Zeit, den Job zu vollenden, die gemeinsame Bestimmung Europas zu verwirklichen.»
Bundesfinanzminister Schäuble erklärte angesichts der Turbulenzen an den Märkten für europäische Staatsanleihen, die Europäische Union sei gut gerüstet. «Wir haben die notwendigen Instrumente», sagte er mit Blick auf den im Frühjahr eingerichteten Rettungsschirm im Volumen von insgesamt rund 750 Milliarden Euro. Allerdings müsse jedes Land selbst entscheiden, ob es die Notwendigkeit sieht, die Hilfen in Anspruch zu nehmen. Er wolle sich an Spekulationen darüber nicht beteiligen. Zuletzt war es immer wahrscheinlicher geworden, dass Irland um Hilfen bittet.
Schäuble warb zugleich für die deutschen Vorschläge, wie nach dem Auslaufen des Rettungsschirms Mitte 2013 neue Mechanismen für die Bewältigung von Krisen greifen sollen. Diese Regelungen müssten auch einen Beitrag der Gläubiger im Fall künftiger Krisen umfassen. Es gehe dabei um einen fairen Interessensausgleich zwischen Investoren und Staaten. Damit werde man ein verantwortlicheres Verhalten aller Beteiligten erreichen und die Gemeinschaftswährung stärken.
Bei einer Podiumsdiskussion verteidigte er das Konzept gegen Bedenken, im Falle einer angedrohten künftigen Beteiligung der Kreditgeber an den Finanzproblemen eines Landes würden die Zinsen nur noch weiter steigen – was dann auf jeden Fall der Steuerzahler zu begleichen habe. Das neue Konzept gelte gar nicht für den heutigen Problemfall Griechenland, sagte Schäuble. Und die Märkte hätten dies längst berücksichtigt. «Das ist längst eingepreist.» Die Reformen würden eher zu einer Beruhigung der Märkte und einem Rückgang der Zinsabstände zwischen starken und schwachen Ländern führen.
Der Wert von Staatsanleihen Griechenlands war im Frühjahr wegen der unsicheren Rückzahlung so stark eingebrochen, dass Griechenland sich an den Märkten nicht mehr zu vertretbaren Zinsen frisches Geld beschaffen konnte. Daraufhin sprang ein Hilfsfonds der EU und des IWF ein. Wenig später wurde dann der grosse Rettungsschirm über 750 Milliarden Euro ins Leben gerufen, der auch anderen Ländern offen steht.
Griechenlands Finanzminister George Papaconstantinou äusserte sich auf der Konferenz zurückhaltend zu den deutschen Vorschlägen. In der Theorie sei es immer richtig, die Gläubiger im Falle einer Banken- oder Staatspleite zu beteiligen. In der Praxis sei aber Vorsicht geboten und es gehe um eine politische Entscheidung. Angesichts des schwierigen Umfeldes sei jetzt ein schlechter Zeitpunkt für eine Diskussion darüber.
Papaconstantinou äusserte sich optimistisch, dass sein Land die Schuldenkrise hinter sich lassen kann. «Die Einsparungen dieses Jahres machen mich zuversichtlich.» So werde das Haushaltsdefizit von 15,4 Prozent im Jahr 2009 auf 9,4 Prozent in diesem Jahr sinken. «In den vergangenen sechs Monaten haben wir mehr gemacht, als viele von uns erwartet haben.» Griechenland werde in der Eurozone bleiben und seine Schulden pünktlich zurückzahlen. Zuvor hatte eine Umfrage unter den Teilnehmern des Kongresses ergeben, dass die meisten anwesenden Banker und Experten dagegen mit Ausfällen bei der Schuldenzurückzahlung Griechenlands in den nächsten zehn Jahren rechnen./rgo/hqs/stw/jsl