The Swiss voice in the world since 1935
Top Stories
Schweizer Demokratie
Newsletter

Olympia begeistert, Schweizer enttäuschten

Nach der grandiosen Eröffnungsfeier zogen die Organisatoren für die Schlussfeier einmal mehr alle Register und feierten die britische Popgeschichte – mit Superstars wie The Who, Annie Lennox, den Spice Girls, Take That oder Liam Gallagher. Keystone

Die Olympischen Sommerspiele in London vermochten die Kommentatoren der Schweizer Zeitungen zu richtigen Begeisterungsstürmen hinzureissen. Die unter den Erwartungen gebliebene Schweizer Bilanz allerdings ist für die meisten ein Wermutstropfen.

«Eine Party für das Volk», «Echt Olympische Spiele «, «London hat Messlatte hoch angesetzt», «Englisches Sommermärchen», «Fabelhafte Spiele». Die Schweizer Zeitungen überschlagen sich am Montag nach Abschluss der Olympischen Sommerspiele in London regelrecht in ihren Lobeshymnen.

Die Schweizer Bilanz allerdings wird kritischer betrachtet: «Olympiaziel deutlich verpasst», «deutlich hinter der Vorgabe», «Schweizer Sport stagniert», ist zu lesen.

Der Leitspruch der XXX. Olympischen Sommerspiele in London, «Inspiriere eine Generation», sei omnipräsent gewesen, schreibt die Aargauer Zeitung. «Was auf den ersten Blick wie eine dieser typisch hochtrabenden Worthülsen für einen gigantischen Anlass aussah, entpuppte sich letztlich als verbaler Volltreffer. London 2012 wird – zumindest im Vereinigten Königreich – als unvergesslicher und prägender Event in Erinnerung bleiben.»

All die Schreckensszenarien, die vor den Spielen an die Wand gemalt worden seien, hätten sich während der Spiele in Luft aufgelöst. «Die Betreiber der U-Bahnen hatten sich perfekt auf den Ansturm vorbereitet. Und wenn es mal eng wurde, waren die Briten mit ihrer Mischung aus Anstand, Humor und Geduld die besten Vorbilder.»

Rio de Janeiro, das in vier Jahren die nächsten Sommerspiele organisiere, werde grosse Anstrengungen machen müssen, um London das Wasser reichen zu können. «London hat die Messlatte hoch angesetzt. Thank you.»

Die Brasilianer dürften mit gemischten Gefühlen in ihre Heimat reisen, kommentiert auch die Neue Zürcher Zeitung. «Mit diesen Spielen mitzuhalten, wird jedem künftigen Veranstalter schwerfallen.»

Denn London 2012 habe einen neuen Höhepunkt markiert. «Nachdem Sydney 2000 häufig als die ‹besten Spiele aller Zeiten› bezeichnet worden ist, hat London 2012 gute Chancen, den Australiern den Rang abzulaufen.»

Es gelte nun, den Moment zu geniessen, denn: «Die Realität von Wirtschaftskrise, Geldmangel und politischer Enttäuschung wird das Land früh genug einholen.»

London – ein einziges Stadion

«Es war ein Fest der Liebe und des Humors, wie in den Eröffnungs- und Schlusszeremonien, wo man gelacht und geweint hat», schreiben L’Express, L’Impartial und Le Nouvelliste.

«Mit diesen Spielen hat sich der Olympische Geist harmonisch mit dem Alltagsleben vermischt», glaubt die Westschweizer Le Temps. Wie bei Sydney 2000 habe sich ganz London in ein riesiges Stadion verwandelt, «das für die Athletinnen und Athleten aus aller Welt vibrierte».

«Sommermärchen»

Für den Blick gehen sowohl Grossbritannien als auch seine Metropole London als grandiose Sieger aus den Sommerspielen 2012 hervor: «Sie haben die Chance, die solche Spiele bieten, genutzt. Sie waren herzliche und gute Gastgeber. Und haben uns ein Sommermärchen geschenkt. Wie Deutschland bei der Fussball-WM 2006.»

Auch kaum ein Haar in der Suppe fand der Kommentator der Berner Tageszeitung Der Bund: «Organisatorisch vorbildlich, friedlich, vergleichsweise ’sauber› und sportlich hochklassig fand der Event in einem Land statt, das seinen Ruf als Nation mit grossem Sportgeist erneuert hat. Das drängt die Kritikpunkte in den Hintergrund.»

Goldmedaille an Verkehrsbetriebe

Die Südostschweiz zeigt sich ebenfalls erfreut über die Bewältigung des Verkehrsproblems während der Spiele: «Eine Goldmedaille geht an die Londoner Verkehrsbetriebe, die mit gigantischem (finanziellen) Aufwand und brillantem und vielfältigem Angebot das Reisen durch London so viel angenehmer machten, als erwartet worden war.»

Für die Südschweizer Zeitung La Regione Ticino wird eine gut organisierte Ausgabe in die Archive eingehen, «mit grossen Kraft- und Geldausgaben (18,4 Milliarden Franken, zu viel!) und Weltklasse-Resultaten». Nun bleibe abzuwarten, was von London bleiben werde. So etwa sei zu hoffen, dass Wohnblocks in jenen Zonen, wo die Spiele die Armut übertüncht hätten, wirklich ärmeren Menschen «überlassen» würden, wie das erklärt worden sei.

Enttäuschende Schweiz

Einen schalen Nachgeschmack hinterlassen allerdings die Schweizer Resultate in London. Mit je zweimal Gold und Silber blieben die Athletinnen und Athleten hinter den Erwartungen zurück. «Am Ende passte bei zu vielen unserer Medaillenkandidaten im entscheidenden Augenblick zu wenig zusammen», schreibt die Aargauer Zeitung.

«London offenbarte, dass der Schweiz der solide Mittelbau fehlt», kommentiert der Tages-Anzeiger. «Nur 50 Prozent erreichten beim Saisonhöhepunkt eine Bestleistung, was auf falsche Planung, mentale Schwäche oder beides zurückzuführen sein könnte. Zudem wirft es Fragen nach den Selektionskriterien auf.»

Es seien einige herausragende Individualisten, die ein sportliches Debakel für die Schweiz verhindert hätten, meint der Blick. «Sieben Medaillen wie vor vier Jahren in Peking war das erklärte und realistische Ziel. Vier sind es geworden. Das muss schonungslos aufgearbeitet und analysiert werden. Der Schweizer Sport stagniert. Und droht den Anschluss zu verlieren.»

Deshalb müsse nun «die Stellung des Sports in der Gesellschaft weiter verbessert werden». Eine «Initialzündung» dazu liefern könne vielleicht die Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2022 in St. Moritz und Davos.

Sprachen-Olympiasieger

Doch noch einen versöhnlichen Schluss findet der Kommentator des St. Galler Tagblatts: «Die Schweizer sind Weltspitze», titelt er. «Während viele Schweizer Sportler in London im Wettkampf nicht überzeugten, brillieren sie jedoch mit ihren Sprachkenntnissen. Die meisten beantworten Interviewfragen nicht nur in ihrer Muttersprache – meistens Deutsch –, sondern auch noch auf Englisch, Französisch oder gar Italienisch.

Damit hätten sie sich von vielen erfolgreicheren Athleten abheben können. «So trifft sich Usain Bolt zwar mit hübschen Athletinnen verschiedener Nationen, er dürfte ihnen jedoch nur in Englisch erklärt haben, dass er jetzt eine Legende sei.»

Die zehn Länder mit den meisten Medaillen

1. USA: 46 G, 29 S, 29 B (104)

2. China: 38 G, 27 S, 22 B (87)

3. Grossbritannien: 29 G, 17 S, 19 B (65)

4. Russland: 24 G, 25 S, 33 B (82)

5. Südkorea: 13 G, 8 S, 7 B (28)

6. Deutschland: 11 G, 19 S, 14 B (44)

7. Frankreich: 11 G, 11 S, 12 B (34)

8. Italien: 8 G, 9 S, 11 B (28)

9. Ungarn: 8 G, 4 S, 5 B (17)

10. Australien: 7 G, 16 S, 12 B (35)

33. Schweiz

Gold: Triathlon Frauen, Nicola Spirig

Gold: Reiten, Springen Einzel, Steve Guerdat auf Nino des Buissonnets

Silber: Tennis, Einzel Herren, Roger Federer

Silber: Mountainbike, Cross-Country Männer, Nino Schurter

Mit der Schweiz verbunden

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft