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Alain Claude Sulzer – Spezialist für Liebesverrat

Alain Claude Sulzer dringt ins Seelenleben der Menschen vor. Privé

Der neue Roman des Basler Autors Alain Claude Sulzer ist eine melancholische Liebesgeschichte. In "Privatstunden", für den er am 26. November den Hermann-Hesse-Literaturpreis erhält, spielen Exilgeschichten einmal mehr eine wichtige Rolle.

Der 56-jährige Alain Claude Sulzer dringt in seinen Büchern immer wieder zum Seelenleben in der Schweiz vor. Er zeigt die innere Befindlichkeit der Menschen fernab von Banken, Schokolade und Sauberkeit.

Sulzer öffnet den Blick für das Fremde, schaut über die Grenzen der Schweiz hinaus. Sulzer sieht in die Herzen der Menschen, wie sie im Rhythmus der Liebe schlagen – Lieben, die das Schicksal hierher verschlug.

Nur eine Etappe

Auch sein bekannter Roman «Ein perfekter Kellner», für den er den Schillerpreis und den Prix Médicis für das beste ausländische Werk erhielt, ist eine traurige Liebesgeschichte.

Sulzer erzählt darin auf undramatische Weise von der Beziehung zweier Männer, dem Schweizer mit elsässischen Wurzeln Erneste und dem Deutschen Jakob.

Jakob trifft im Grand Hotel Giessbach im Berner Oberland auf Erneste, den «perfekten Kellner». Während die Liaison für Erneste von absoluter Bedeutung ist, ist sie für den aus Nazi-Deutschland geflohenen Jakob nur eine Etappe.

Liebe mit Deutschlehrerin

«Privatstunden» führt die Leser ebenfalls ins Innenleben der Schweiz. Was wechselt ist das Dekor. Der Roman spielt weitab vom Grand Hotel Giessbach, aber immer noch nahe an den Herzen, für die sich Sulzer so interessiert.

Und auch hier geht es um einen Mann, der einem diktatorischen Regime entfliehen will – diesmal nicht jenem der Nazis, sondern dem Kommunismus.

Der 21-jährige Osteuropäer Leo flüchtet Ende der 1960er-Jahre in die Schweiz. Dort wird er in gutbürgerlichem Milieu, von einem Ärzteehepaar, aufgenommen.

Die Leute sind überzeugt von ihrer humanitären Mission. Da ist etwa die Gastfamilie, die Giezendanners. Und da ist 34-jährige Martha, die Leo Sprachunterricht erteilt.

Über das elementare Erlernen der deutschen Sprache entsteht eine Nähe, der sich weder Lehrerin noch Schüler entziehen können.

Schweiz als Trampolin

Martha hilft Leo der Einsamkeit seines Immigrantenlebens zu entfliehen, und Leo entführt Martha aus der Langeweile ihrer Ehe und führt sie zu sich selbst.

Doch wie Jakob in «Der perfekte Kellner» verrät auch Leo seine Liebe, handelt opportunistisch – was zählt, ist das eigene Weiterkommen.

In «Privatstunden» zeigen sich auch die Umrisse einer verinnerlichten Schweiz, die sich im Aufeinandertreffen der individuellen Schicksale widerspiegelt. Ein Land, wo sich Geschichten voller Leidenschaften, Melancholie und zerbrechlicher Hoffnung abspielen – Geschichten, in denen plötzlich die Flucht eintritt.

Sowohl in «Privatstunden» als auch in «Der perfekte Kellner» verschwinden die Immigranten. Sie verlassen die Schweiz für ein anderes Land, ein Land, in dem sie sich ein besseres Leben erhoffen. Die Schweiz dient ihnen als Trampolin. Was sie hinterlassen, sind die zerbrochenen Herzen jener, die bleiben.

Ghania Adamo, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Corinne Buchser)

Sulzer wurde 1953 in Basel geboren. Seine Mutter ist Französin, sein Vater Schweizer.

Nach der Ausbildung zum Bibliothekar war Sulzer als Journalist tätig.

Sulzer übersetzt auch französische Literatur.

Seit 1983 veröffentlichte er acht Erzählwerke, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden.

Für den Roman «Ein perfekter Kellner» erhielt er den Schillerpreis und den renommierten französischen Prix Médicis für das beste ausländische Werk.

Am 26. November 2009 wird Alain Claude Sulzer für seinen Roman «Privatstunden» in Karlsruhe der Hermann-Hesse-Literaturpreis übergeben.

Mit dem Roman zeige sich Sulzer als «eleganter Stilist und einfühlsamer Psychologe», hiess es. Er entfalte «diskret, aber sehr eindringlich ein bewegtes Seelendrama, das bis in die feinsten Verästelungen hinein behutsam ausgeleuchtet wird», so die Stiftung Hermann Hesse Literaturpreis.

Sulzer ist der fünfte Schweizer Hesse-Preisträger. Vor ihm erhielten bereits Adolf Muschg, Gerhard Meier, Klaus Merz und Markus Werner die renommierte Auszeichnung.

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