
Erstaunlich gefasste ABB-Mitarbeiter

ABB kämpft ums Überleben. Der Konzern wird in den nächsten Monaten massiv Stellen abbauen, wie Konzernchef Jürgen Dormann bekannt geben musste.
Die Mitarbeiter erscheinen trotzdem ziemlich gefasst. Ein Stimmungsbericht.
Das miese Wetter am Mittwoch, dem Tag des tiefen ABB-Kurssturzes, entsprach dem Ereignis.
Strömender Regen und heftige Windböen durchnässten und zerzausten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nach ihrer Mittagspause den ABB-Hallen zustrebten.
Die Grundstimmung der Menschen, die ihre Arbeitskraft für ABB einsetzen, ist im Allgemeinen erstaunlich ausgeglichen. Wer starke Emotionen wegen des Kurszerfalls oder der bedrohlichen finanziellen Lage des Konzerns erwartet hatte, wurde enttäuscht.
Den im Sommer 2001 gestarteten Restrukturierungs-Massnahmen sind weltweit bereits 13’100 Stellen zum Opfer gefallen. Nun sollen die Kosten, angesichts der weiterhin sehr angespannten Finanzlage, in den nächsten 18 Monaten um weitere 800 Mio. Dollar gesenkt werden.
Weiterer Stellenabbau vorgesehen
Für ABB-Konzernchef Jürgen Dormann ist Personalabbau ein Schlüsselfaktor zur Erreichung der Einsparungsziele. Wie viele Stellen er wo innerhalb des weltweit tätigen Unternehmens streichen wird, liess Dormann bislang offen. Die Gewerkschaft VSAM befürchtete am Donnerstag den Wegfall von bis zu 20’000 der rund 150’000 Arbeitsplätze.
Mit einem eventuellen Stellenverlust hatten sich viele ABB-Mitarbeitende schon auseinandergesetzt, bevor Jürgen Dormann am Donnerstag seine Hiobsbotschaft verkündet hatte. «Ich bin schon eine Zeitlang davon überzeugt, dass mein Arbeitsplatz nicht mehr sicher ist», sagt ein ABB-Mechaniker.
Andere Mitarbeitende glaubten den Beschwichtigungen der Firmenführung, die am Mittwoch offenbar kommuniziert hatte, dass für die Angestellten kein Grund zur Beunruhigung bestehe.
Ein Kranführer meint: «Die Firmenleitung hat versichert, dass der Kursverlust keine Auswirkungen auf die ABB in der Schweiz habe. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als dies zu glauben, obschon man heute gerne angelogen wird.»
«Ich habe schon Angst vor einem weiteren Stellenabbau. Wer gibt denn einem 54-Jährigen noch Arbeit?» meint ein besorgter Mitarbeiter.
Muss die alte BBC wieder auferstehen?
Die Gewerkschaft VSAM forderte die Banken auf, den Konzern zusammen mit der Geschäftsleitung rasch zu sanieren. Die ABB-Geschäftseinheiten in der Schweiz seien gesund und hätten seit je überproportional zum Erfolg beigetragen. Sie sollten deshalb bevorzugt behandelt werden. «Am besten wird ABB Schweiz aus dem Konzern herausgelöst und verselbstständigt», hiess es.
«Für diese Idee müsste es Schweizer Investoren haben. Im Moment sehe ich keinen Investor, der dies möchte und Geld hat. Die Banken haben kein Geld, Versicherungen haben kein Geld, ich kenne kein Unternehmen, das bereit wäre, hier zu investieren. Das ist ein Ballon, keine richtige Idee», findet ein im Generatorenverkauf Tätiger.
Andere hauen in dieselbe Kerbe: «Wer in der Schweiz hat denn überhaupt noch Geld, eine konkursite ABB zu kaufen? Die Banken und Versicherungen stehen auch nicht auf soliden Beinen», heisst es da etwa.
Skeptisch äussert sich auch eine Büro-Angestellte: «Die Überführung der ABB in eine BBC bringt es nicht. Man hat das schon bei der Swissair gesehen, das ja ein Schweizer Unternehmen war.»
Auf die Frage, ob es denn nicht besser gewesen wäre, wenn die BBC nicht mit der ASEA fusioniert hätte, meint ein Mechaniker: «Egal, auch wenn wir selbständig geblieben wären, die Schwierigkeiten wären auch so gekommen, sehen Sie sich nur das Debakel mit der Post an.»
Angst vor dem Konkurs?
Die Anfang Woche herumgeisternden Konkurs-Ängste werden auch von einem Teil der Belegschaft geteilt:
«Konkursängste herrschen vor allem wegen Combustion Engineering. Man muss die Firma abtreten», meint ein Verkaufsassistent. «Wenn aber effektiv kein Cash vorhanden ist, dann ist man Konkurs, das wird man in nächster Zeit ja vernehmen,» sagt er weiter.
«Eine gewisse Angst vor einem Konkurs ist sicher da,» sagte ein Kranführer. «Der Schweizer Zweig ist nicht so gesund wie es immer dargestellt wird. Das kann mir niemand angeben. Man sieht das auch bei der Post, wo so viele Einsparungen gemacht werden müssen.»
«Die ABB in der Schweiz wird darunter nicht leiden,» ist die optimistischste Einschätzung.
Wer ist für den Schlamassel verantwortlich?
Nicht nur die Presse sucht nach den Verantwortlichen für die Situation der angeschlagenen ABB. Eine kaufmännische Angestellte hat den Verursacher gefunden: «Das geschieht dem Ebner recht, dass auch er bluten muss. Er hat die Firma ausgenommen.» Eine gewisse Schadenfreude, dass Banker Martin Ebner mit seiner eigenen Firma auch am Rand des Abgrunds steht, ist nicht zu überhören.
«Es stimmt mich bitter, wenn ich sehe, wie die grossen Manager wie Barnevik die Firma gemolken haben!» kommentiert ein Mechaniker. Ein Kollege stösst ins selbe Horn: «Der gesamten Wirtschaft geht es momentan nicht gut. Wenn dann noch die obersten Chefs die Reserven plündern, wundert man sich nicht, dass wir so schlecht da stehen.
Wie weiter?
«Einfach Sachen verkaufen, das bringt es auch nicht. Man kann nicht einfach gute Sparten verkaufen. Financial Services, zum Beispiel, hat man einfach mal verkauft. Das sind Zweige, die etwas bringen. Und wenn man alle rentierenden Firmen verkaufen muss, um Cash zu erhalten, dann ist die Verunsicherung auch da, ob man überhaupt noch investieren solle,» sagt ein Verkaufsassistent.
«Ich kann mir konkret keine Lösung vorstellen, aber es wird eine geben,» gibt sich ein Sachbearbeiter überzeugt. «Es muss weitergehen, die Firma hat ja gute Produkte», meint ein anderer.
swissinfo, Etienne Strebel
Die Angestellten der ABB nehmen die andauernden Hiobsbotschaften aus der Firmenzentrale gefasst entgegen. Viele halten einen Arbeitsplatzabbau für möglich. Als Schuldige am finanziellen Desaster werden Ex-Manager Percy Barnevik und Banker Martin Ebner betrachtet.

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