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Hessischer Kulturpreis – jetzt auch für Navid Kermani

Preisträger mit Verspätung: Navid Kermani. Keystone

Mit einem halben Jahr Verspätung hat Navid Kermani am Donnerstag Abend den Hessischen Kulturpreis erhalten. Der Preis war dem Orientalisten und Schriftsteller nach der Veröffentlichung eines Essays über die Kreuzestheologie in der NZZ zeitweilig aberkannt worden.

Ministerpräsident Roland Koch entschuldigte sich in seiner Laudatio bei Kermani für die Irritationen um die zeitweilige Aberkennung des Preises. Die Kommunikation mit Navid Kermani sei nicht gelungen gewesen und habe den Konflikt noch komplizierter gemacht und emotional verschärft, räumte Koch ein. «Dafür entschuldige ich mich persönlich und für alle, die daran beteiligt waren.»

Der CDU-Politiker betonte, die Preisvergabe sei richtig, auch wenn der Weg zu ihr «holprig, nicht frei von Fehlern und Irrtümern» gewesen sei. Auch Kermani schlug angesichts der gestrigen Feierstunde in Wiesbaden versöhnliche Töne an: «Selbstverständlich freue ich mich über die Worte des Herrn Ministerpräsidenten.»

Eine multireligiöse und multikulturelle Gesellschaft werde niemals konfliktfrei sein, so der Islamwissenschaftler. Es komme aber darauf an, diese Konflikte friedlich und konstruktiv zu lösen. Und dies sei «bei aller Schärfe im Ton» gelungen. Berührt zeigte sich Kermani von der Unterstützung der Öffentlichkeit im vergangenen halben Jahr, vor allem vieler Christen.

«Gotteslästerung und Bilderverehrung»

Der Hessische Kulturpreis 2009 war heuer dem interreligiösen Dialog gewidmet. Doch die mit insgesamt 45’000 Euro dotierte Ehrung stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Zur Auszeichnung vorgesehen waren vier Vertreter von Christentum, Judentum und Islam: der Bischof von Mainz, Karl Kardinal Lehmann, Peter Steinacker, früherer Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie der deutsch-iranische Islamwissenschaftler Navid Kermani.

Der in Köln lebende Autor wurde erst nachträglich vorgeschlagen, nachdem sich der ursprünglich für den Preis vorgesehene Muslim Fuat Sezgin zurückgezogen hatte. Anfang Juli hätte die Auszeichnung feierlich übergeben werden sollen. Doch dann kam es zum Eklat. Im Mai entzog das Preiskuratorium – als dessen Vorsitzender Ministerpräsident Roland Koch amtiert – Kermani die Auszeichnung überraschend.

Hintergrund war, dass die beiden christlichen Preisträger es ablehnten, gemeinsam mit Kermani geehrt zu werden. Lehmann und Steinacker warfen Kermani vor, in einem Leitartikel in der Neuen Zürcher Zeitung von Mitte März das Kreuz als christliches Symbol fundamental angegriffen zu haben. Tatsächlich hatte Kermani in einem Essay über ein Altarbild des Renaissancemalers Guido Reni seine Ablehnung der Kreuzestheologie begründet und von «Gotteslästerung und Bilderverehrung» gesprochen.

«Gerade weil ich ernst nehme, was es darstellt, lehne ich das Kreuz rundherum ab. Nebenbei finde ich die Hypostasierung des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, ein Undank gegenüber der Schöpfung, über die wir uns freuen, die wir geniessen sollen, auf dass wir den Schöpfer erkennen», schrieb Kermani.

«Ein integrationspolitisches Desaster»

Der Streit um Kermani beschäftigte ganz Deutschland. Sowohl konservative als auch linksliberale Zeitungen waren der Ansicht, dass die Aberkennung des Preises den interreligiösen Dialog mit Füssen trete. Auch die Politik schaltete sich ein. SPD und Grüne machten ein integrationspolitisches Desaster aus und verlangten eine Entschuldigung von Ministerpräsident Koch.

Bischof Lehmann sagte, er habe zwar an den Ministerpräsidenten geschrieben und ihm mitgeteilt, dass er angesichts dieser Angriffe auf das Kreuz als zentrales Symbol des christlichen Glaubens keinen Preis zusammen mit Kermani annehmen könne. Er habe Koch aber in keiner Weise dazu aufgefordert, Kermani den Preis abzuerkennen.

Kermani selbst, der übrigens aus der Presse von der Ausladung erfuhr, sprach von einer «willfährigen Reaktion» des Ministerpräsidenten, die ein «problematisches Verhältnis von Staat und Kirche» in Hessen offenbare. Bei öffentlichen Auftritten betonte der Orientalist immer wieder, er nehme nichts aus seinem «bewusst literarischen» Text zurück, seine Beschreibung eines Kreuzigungsbildes habe er jedoch nicht diskriminierend gemeint.

Es waren die vier Preisträger selbst, die den unrühmlichen Konflikt beendeten und sich Ende August zu einem Gespräch zusammensetzten. Danach teilten sie mit, man habe in einer offenen und respektvollen Atmosphäre diskutiert und sei zur Ansicht gekommen, «dass Herr Dr. Navid Kermani mit dem Hessischen Kulturpreis mit ausgezeichnet werden soll».

Paola Carega, Berlin, swissinfo,ch

Geboren (27.11.1967) als vierter Sohn iranischer Eltern ist Navid Kermani deutscher und iranischer Staatsbürger. Er ist verheiratet mit der Islamwissenschaftlerin und Journalistin Katajun Amirpur und hat zwei Töchter.

Kermani studierte Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaft in Köln, Kairo und Bonn.

Unterstützt von der Studienstiftung des deutschen Volkes verfasste er eine Dissertation mit dem Titel «Gott ist schön». Damit wurde er 1998 im Fach Islamwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn promoviert.

2006 habilitierte er sich im Fach Orientalistik. Von 2000 bis 2003 war er Long Term Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Seit 2006 ist Kermani Mitglied der deutschen Islamkonferenz.

Heute lebt er als freier Schriftsteller und Regisseur in Köln. Wichtige Themen seiner Arbeit sind das Verhältnis zwischen Westen und Orient, der Kampf bzw. Dialog der Religionen sowie die menschliche Ursuche nach dem Gottesbild und dem Sinn des Leids.

Seit Oktober 2007 ist Kermani Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, seit 2008 wissenschaftlicher Beirat im Einstein Forum.

Für sein Buch «Gott ist schön: Das ästhetische Erleben des Koran» erhielt Navid Kermani im Jahr 2000 den Ernst-Bloch-Förderpreis. 2004 erhielt er den Jahrespreis der Helga-und-Edzard-Reuter-Stiftung.

Sein 2005 veröffentlichtes Buch «Der Schrecken Gottes – Attar, Hiob und die metaphysische Revolte» wurde von der NZZ als «heilsam verstörend» bezeichnet.

Im Herbst 2005 hielt Kermani im Wiener Burgtheater die Festrede zum 50. Jahrestag der Wiedereröffnung des Hauses, in der er die aktuelle Flüchtlings- und Asylpolitik der EU in Frage stellte. Anfang 2007 erschien sein Roman «Kurzmitteilung».

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