Letzte Ruhe am Fusse eines Baumes
Nach dem Tod am Fusse eines Baumes ruhen, von den Wurzeln aufgenommen in den Kreislauf der Natur: an dieser Form der Bestattung finden immer mehr Menschen Gefallen. Zum Beispiel Lilly und Erich Walla - sie haben zugeschaut, als ihr Baum gepflanzt wurde.
Wenn Lilly und Erich Walla in Bonstetten den Zug nach Zürich nehmen, sehen sie ihn: ihren Baum. Eine junge Buche ist es, im Februar gepflanzt in einem Wald bei Birmensdorf. Am Fusse dieser Buche werden sie einmal bestattet werden. «Jedes Mal blicke ich zum Zug hinaus, sehe den Hain und denke: dort werde ich mal sein, das ist gut zu wissen», sagt Erich Walla.
Asche zu den Wurzeln
Der Baum von Wallas steht in einem Friedwald. Nach ihrem Tod wird ihre Asche zu den Wurzeln ihrer Buche gegeben werden. Der Friedwald in Birmensdorf besteht aus einer ganzen Gruppe von Bäumen, die für Bestattungen vorgesehen sind. Der Waldbesitzer wohnt direkt unterhalb des Waldrandes.
«Im Baum kann ich weiterleben»
Es sei ein gutes Gefühl gewesen, als ihre Buche gepflanzt worden sei, erzählt das Ehepaar. «Nun wissen wir, wo unser Platz ist», sagt Lilly Walla. «Wir pilgern auch oft dahin, denn wir erreichen den Baum zu Fuss in einer halben Stunde».
Verschiedene Überlegungen haben eine Rolle gespielt bei ihrer Entscheidung für eine Waldbestattung. «Ich gehe täglich im Wald spazieren und ich fühle mich sehr mit den Bäumen verbunden», sagt etwa Lilly Walla. Ihr Mann ergänzt: «Im Baum kann ich weiterleben».
Vergängliche Spuren
Nur wissende Augen erkennen einen Friedwald als solchen. Bei einem Spaziergang hat Lilly Walla einmal eine Rose gesehen, bei den Wurzeln eines Baumes. Bei einem anderen Baum hatte jemand mit Blättern ein Herz hingelegt. Blumen werden keine gepflanzt, auch keine Kreuze errichtet. Der Wald soll Wald bleiben. Nur eine kleine Plakette wird nach einer Bestattung montiert.
Während 99 Jahren geschützt
Die «Idee Friedwald» stammt vom Thurgauer Ueli Sauter. Den ersten Friedwald hat der frühere Elektro-Ingenieur im thurgauischen Mammern realisiert. Rund 20 Friedwälder gibt es heute in der Schweiz, in den nächsten Wochen und Monaten werden laut Sauter gegen zehn dazu kommen.
Ein Friedwald-Baum kostet rund 4’000 Franken. Durch einen Grundbucheintrag wird der Baum für 99 Jahre geschützt. Rund 20 Prozent der Käuferinnen und Käufer kommen aus Deutschland. Diese weichen in die Schweiz aus, weil in Deutschland zur Zeit noch Friedhofzwang herrscht.
«In der Schweiz kann man mit der Asche machen, was man will», weiss Ursula Stalder, Verbandssekretärin des Schweizerischen Verbandes der Bestattungsdienste. Rechtlich gesehen gelte bereits die Kremation als Bestattung. Eine Waldbestattung findet Ursula Stalder eine gute Sache, wenn sie im Sinne des Verstorbenen sei.
Unterschiedliche Rituale
«Vielfach geschieht die Abdankung in der Kirche, die Besetzung am Baum dann im engsten Familienkreis», erzählt Ueli Sauter. «90 Prozent der Familien-Angehörigen bestatten ihre Toten selber. Ich komme mit der Asche, sie leeren die Asche an die Wurzeln und decken sie zu.» Oft sei auch ein Pfarrer dabei. Rund 50 Bestattungen hat Sauter bis heute gemacht.
Mitten im Leben
Lilly Walla ist sich noch nicht sicher, wie sie sich ihr Beisetzungs-Ritual wünscht. Ihr Mann hingegen weiss, dass er nur eine Feier im kleinsten Kreis möchte. Zur Zeit sind die gut 60jährigen Wallas vor allem erleichtert, dass ihre Bestattung in ihrem Sinn und dem ihrer Kinder geregelt ist. Sie geniessen das Leben. Eben erst haben sie zwei Monate in Thailand verbracht.
Kathrin Boss Brawand
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