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Ein Milizdienst für alle? Die Schweiz entscheidet an der Urne

Eine Person mit Cap "Zivildienst" hämmert auf einem Stein
Die Initiative für einen Milizdienst fordert, dass jede Person mit Schweizer Staatsangehörigkeit einen Dienst zum Wohl der Gemeinschaft und der Umwelt leistet. Keystone / Urs Flüeler

Am 30. November stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über eine Initiative ab, die den Militärdienst durch einen Milizdienst zugunsten der Gemeinschaft und der Umwelt ersetzen und die Dienstpflicht auf Frauen ausweiten will.

Die Schweiz steht vor einer landesweiten Debatte über den Wert und die Zukunft des Milizsystems. Die am 30. November zur Abstimmung kommende Volksinitiative «Für eine engagierte Schweiz (Service-citoyen-Initiative)»Externer Link sieht eine tiefgreifende Reform des Militärdiensts vor.

Was genau verlangt die Initiative?

Jede Person mit Schweizer Staatsangehörigkeit soll einen Dienst zum Wohl der Gemeinschaft und der Umwelt leisten. Im Gegensatz zum derzeitigen System würde diese Verpflichtung auch für Frauen gelten. Zudem kann der Gesetzgeber die Verpflichtung auf Nicht-Schweizerinnen und Nicht-Schweizer ausweiten.

Heute beschränkt sich die Dienstpflicht auf die Armee, den Zivilschutz und den Zivildienst. Die Initiantinnen und Initianten wollen das Spektrum um andere Formen des gesellschaftlichen Engagements erweitern.

Ein solcher neuer Milizdienst könnte in vielen Bereichen geleistet werden. Das Initiativkomitee nennt verschiedene Beispiele: Umweltschutz, Hilfe für schutzbedürftige Personen, Ernährungssicherheit oder Katastrophenvorsorge. Die konkreten Aufgaben würden entsprechend den Bedürfnissen des Landes von den Behörden festgelegt.

Dieses neue System würde den derzeitigen Militärdienst ersetzen, zu dem Schweizer Männer verpflichtet sind. Sie müssen grundsätzlich entweder in der Armee oder im Zivilschutz dienen.

Alternativ kann sich, wer aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigert, für den längeren Zivildienst entscheiden, der meist im Sozial-, Gesundheits- oder Umweltbereich geleistet wird. Männer, die keine dieser Pflichten erfüllen, müssen eine Wehrpflichtersatzabgabe entrichten.

Wer steht hinter diesem Vorschlag?

Die Initiative wurde von der im Jahr 2013 gegründeten Genfer Vereinigung Servicecitoyen.ch ins Leben gerufen. Sie wurde am 26. Oktober 2023 mit 107’613 gültigen Unterschriften eingereicht.

Unterstützt wird der Text von der Grünliberalen Partei, der Evangelischen Volkspartei, der Piratenpartei, den Jungen der Mitte sowie verschiedenen Vereinigungen.

Was sind die Argumente der Befürworterinnen und Befürworter der Reform?

Die Befürwortenden sind der Meinung, das derzeitige System sei veraltet und unfair. Sie kritisieren, dass nur Schweizer Männer wehrpflichtig sind, während Frauen sowie Ausländerinnen und Ausländer davon befreit sind.

Das Initiativkomitee ist der Ansicht, dass ein allgemeiner Milizdienst die Gleichstellung der Geschlechter verwirklichen, den sozialen Zusammenhalt stärken und das bürgerschaftliche Engagement aufwerten würde.

Nach Ansicht der Befürwortenden könnte die Reform den Personalbedarf der Armee und des Zivilschutzes decken, indem sie den Pool der mobilisierbaren Personen erweitert.

Das Initiativkomitee betont ausserdem, dass sein Text zivile Formen des Engagements als gleichwertig mit dem Militärdienst anerkennen würde und so den wachsenden Bedürfnissen in Bereichen wie Umwelt, Gesundheit oder Soziales gerecht werden könnte.

Wie stehen Bundesrat und Parlament dazu?

Sie begrüssen das Ziel der Initiative, das Engagement der Schweizer Bürgerinnen und Bürger für die Gesellschaft zu stärken. Sie sind jedoch der Ansicht, dass der «Service citoyen» keine geeignete Lösung darstellt.

Die Regierung ist vor allem darum bemüht, die Armee und den Zivilschutz mit genügend Personal auszustatten. Laut einer Analyse aus dem Jahr 2021Externer Link könnte dies bald nicht mehr gewährleistet sein.

Für die Regierung schiesst die Initiative übers Ziel hinaus. Der Bundesrat schätztExterner Link, dass mit einem Milizdienst jährlich rund 70’000 Personen rekrutiert würden. Der Bedarf beläuft sich jedoch nur auf etwa 30’400 Zivildienstpflichtige pro Jahr. Die Zahl der rekrutierten Personen würde den tatsächlichen Bedarf somit bei Weitem übersteigen.

Für den Bundesrat ist es auch nicht sinnvoll, eine so grosse Zahl von Personen für Aufgaben einzusetzen, die nicht ihren beruflichen Kompetenzen entsprechen und für die sie weniger qualifiziert sind.

Er warnt zudem vor zusätzlichen Kosten: Die jährlichen Ausgaben für die Erwerbsersatzordnung (EO) und die Militärversicherung (MV) würden sich auf 1,6 Milliarden bzw. 320 Millionen Franken verdoppeln.

Dem Arbeitsmarkt würden damit doppelt so viele Arbeitskräfte fehlen wie heute und die Arbeitgebenden müssten hohe Kosten für den Ersatz der Abwesenheiten tragen.

Lesen Sie unseren Artikel über die Personalstärke der Armee:

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Keystone

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Wer ist gegen die Initiative?

Obwohl Politikerinnen und Politiker aller politischen Lager den «Service citoyen» unterstützen, kann der Text keine der Regierungsparteien überzeugen. Zu den Kritikerinnen und Kritikern gehört auch die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA).

Welche Argumente bringen die Gegnerinnen und Gegner vor?

Die Gegnerschaft der Initiative weist auf Lücken bei der Umsetzung des Textes hin. Im Speziellen fragen sie sich, wie die Personalstärke der Armee und des Zivilschutzes gewährleistet werden kann, wenn die Dienstpflichtigen ihren Einsatzbereich selbst wählen können.

Das bürgerliche Lager befürchtet negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, während die Linke behauptet, der Milizdienst könne mit Zwangsarbeit gleichgesetzt werden und verstosse gegen das Völkerrecht.

Zudem sind die Gegnerinnen und Gegner der Initiative der Ansicht, dass die Dienstpflicht für Frauen keinen wirklichen Fortschritt in Sachen Gleichstellung darstellen würde, da die Gleichstellung in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft noch immer nicht Realität ist. Dies würde die Belastung vieler Frauen zusätzlich erhöhen, die bereits einen Grossteil der unbezahlten Arbeit leisten.

Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub

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