
Sophie Michaud Gigon: «Ich befürchte eine ‚Trumpisierung‘ der Schweizer Demokratie»

Die grüne Nationalrätin Sophie Michaud Gigon setzt sich dafür ein, dass Auslandschweizer:innen ihr Stimmrecht ausüben können. Im Rahmen unserer Serie «Die Fünfte Schweiz im Bundeshaus» erklärt sie, warum ihr dieses Engagement wichtig ist.
Sophie Michaud Gigon ist die Stimme der Konsument:innen im Bundeshaus, in das sie 2019 gewählt wurde. Die 50-jährige grüne Nationalrätin leitet seit 2017 die Fédération romande des consommateurs (FRC). Diese Funktion unterstreicht ihr politisches Engagement, das im Alter von 7 Jahren mit dem Verkauf von Etiketten für den WWF begann.
Als Feministin und sportbegeisterte Person ist die ehemalige Volleyballspielerin seit der Gründung Mitglied des FC Helvetia, der Fussballmannschaft der Parlamentarierinnen in Bern. Im Rahmen ihrer politischen Tätigkeit engagiert sie sich für die Diaspora innerhalb der parlamentarischen Freundschaftsgruppe «Auslandschweizer».
Im Gegensatz zu Frankreich oder Italien, die ihren im Ausland lebenden Bürgerinnen und Bürgern Wahlkreise einräumen, haben die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer keine direkte Vertretung unter der Bundeskuppel.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass ihre Interessen nicht berücksichtigt werden. Mehr als 60 Mitglieder von National- und Ständerat (von 246) sind in der parlamentarischen Freundschaftsgruppe «Auslandschweizer»Externer Link versammelt.
In jeder Sessionswoche lassen wir einen von ihnen in unserem neuen Format «Die Fünfte Schweiz im Bundeshaus» zu Wort kommen.
Swissinfo: Was hatte in dieser Session für Sie Priorität?
Sophie Michaud Gigon: Wir haben wichtige Wirtschaftsdossiers behandelt, die den Gegensatz zwischen den «Kleinen» und den «Grossen» gut veranschaulichen: kleine Unternehmen gegenüber grossen Konzernen oder Konsumenten gegenüber multinationalen Unternehmen. Ich denke dabei insbesondere an das Vorhaben des Bundesrats, das Sammelklagen erleichtern wollte.
Nach jahrelangen Debatten hat das Parlament eine in Europa weit verbreitete Möglichkeit begraben: sich zusammenzuschliessen, um vor Gericht zu gehen, wenn ein kollektiver Schaden erlitten wird. Das ist eine echte Enttäuschung.
Was war das wichtigste Thema für die Diaspora?
Für mich war das wichtigste Thema der Session für die Fünfte Schweiz die Abstimmung über die Initiative «200 Franken sind genug». Glücklicherweise haben beide Kammern diese Vorlage abgelehnt, welche die Radio- und Fernsehgebühr von 335 auf 200 Franken pro Jahr senken will. Dieses Geld finanziert insbesondere die Hälfte des Budgets von Swissinfo.
Natürlich kann die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), wie jede grosse Organisation, reformiert werden. Aber diese Initiative stellt ein grosses Risiko für unsere Demokratie dar, genau wie der Sparplan des Bundesrats, der Swissinfo bedroht. Ich befürchte eine «Trumpisierung» der Schweizer Demokratie.
Sowohl für Auslandschweizer:innen als auch für jene im Inland ist es von entscheidender Bedeutung, sich auf eine Vielzahl von Medien verlassen zu können, die recherchieren und Fakten überprüfen, damit sie in vollständiger Kenntnis der Sachverhalte handeln und auch abstimmen können.
Wie sehen Sie die Schweiz derzeit in der Welt?
Die Position der Schweiz ist geschwächt. Die von den Vereinigten Staaten erhobenen Zölle in der Höhe von 39% und das Scheitern der Verhandlungen des Bundesrats, um diese zu vermeiden, haben das Vertrauen in die Position der Eidgenossenschaft auf der internationalen Bühne beschädigt.
Als Parlamentarier:innen erhalten wir zudem etwa zehn E-Mails pro Woche im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Viele kritisieren die Zurückhaltung der Schweizer Regierung. Sie fragen sich, warum keine Sanktionen gegen die israelische Regierung wegen der Verbrechen in Gaza verhängt werden, obwohl das Gesetz dies erlauben würde.
Als grüne Abgeordnete in einem Parlament mit konservativer Mehrheit muss ich gestehen, dass ich das Gefühl von Wut und Ohnmacht teile, das unsere Mitbürger:innen ausdrücken.
Warum engagieren Sie sich für die Auslandschweizer:innen?
Ich setze mich dafür ein, dass die Auslandschweizer:innen ihre demokratischen Rechte vollständig ausüben können. Es ist erschreckend festzustellen, dass die grösste Gruppe in unserem Land aus jenen besteht, die nicht zur Urne gehen.
Die Bürger dürfen die Demokratie nicht uns Politiker:innen überlassen. Sie müssen sich dafür interessieren und Rechenschaft verlangen. Und wir Parlamentarier:innen müssen für unsere Handlungen und Abstimmungen zur Verantwortung gezogen werden können. Man muss uns unbedingt im Auge behalten.
Es ist daher wesentlich, dass die an der Abstimmung interessierten Mitglieder der Diaspora tatsächlich Zugang dazu haben und die entsprechenden Unterlagen rechtzeitig erhalten.
Welche Niederlagen mussten Sie hinnehmen?
Wenn ich mir das derzeitige Ungleichgewicht der politischen Kräfte im Parlament anschaue, habe ich den Eindruck, dass sich die Schweiz isoliert, und das betrachte ich als Niederlage.
Die Initiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer, die schwarze Schafe in Szene setzte, oder auch jene zum Burka-Verbot haben einen Schleier des Verrufs über unsere moderne Demokratie geworfen. Die Auslandschweizer:innen mussten damals feststellen, wie sehr solche Angelegenheiten dem Image unseres Landes geschadet haben.
Denken Sie, dass die Interessen der Auslandschweizer:innen unter der Kuppel ausreichend vertreten sind?
Nein, nicht wirklich. Zunächst, weil man oft vergisst, dass diese Diaspora existiert und zahlreich ist. Vielleicht, weil es sich um Personen handelt, denen man nicht täglich begegnet, auf dem Markt oder auf der Strasse. Die Bundesparlamentarier:innen sind sehr zugänglich, aber die Ausgewanderten leben anderswo und sind in unserem Alltag weniger präsent. Da besteht ein bisschen die Gefahr von «aus den Augen, aus dem Sinn».
Wenn Sie auswandern müssten, wo würden Sie sich niederlassen?
In Quebec oder irgendwo am Meer. Ich mag Kanada und seine Weiten sehr. Die Menschen dort sind sehr freundlich. An gewissen Orten hat man das Gefühl, in den Vereinigten Staaten zu sein, obwohl dieses Land heute eine oppositionelle Rolle gegenüber der amerikanischen Macht spielt.
Ich wäre auch sehr glücklich am Meer, zum Beispiel am Atlantik, auch wenn mir die Berglandschaften, die Seen und die bewaldeten Weiden meines Landes fehlen würden.
Editiert von Samuel Jaberg; Übertragung aus dem Französischen mit der Hilfe der KI Claude: Claire Micallef

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