
Nachfahrin von Auslandschweizer steht vor Ausschaffung

Gabriela Purtschert ist in Ecuador aufgewachsen – mit Schweizer Werten, Schweizer Käse und der Sehnsucht, eines Tages in der Schweiz zu studieren. Heute, nach 16 Jahren in der Schweiz, soll sie ausgeschafft werden. Denn ihr fehlt, was viele ihrer Verwandten haben: der rote Pass.
Von aussen sieht alles nach einem klassischen Schweizer Werdegang aus: eidgenössische Matur, Studium, Doktorarbeit. In Zeiten des Fachkräftemangels eine gefragte Arbeitskraft. Doch nun steht Gabriela Purtschert (36) kurz vor der Ausschaffung – obwohl sie länger in der Schweiz lebt, als viele ihrer Verwandten mit Schweizer Pass.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, liegt an einer Besonderheit ihrer Herkunft – und an einem entscheidenden juristischen Detail, das sie bis heute begleitet. Der Ursprung dieser Geschichte führt nach Pfaffnau im Kanton Luzern – ein Dorf an der Grenze zu den Kantonen Bern und Aargau mit überraschend vielen Verbindungen nach Südamerika. Auch Gabriela Purtscherts Familie hat hier ihre Wurzeln.
Es ist der Heimatort von geschätzt 100 Auslandschweizerinnen und -schweizern in Ecuador – auch von Gabriela Purtscherts Eltern. Purtschert selbst ist im Zivilstandsregister als Tochter eines Schweizers und einer Schweizerin eingetragen. Ihr Heimatort bleibt jedoch leer, anders als bei ihren jüngeren Brüdern, sie behielt das ecuadorianische Bürgerrecht.

Adoptiert von einem Auslandschweizer
Der Grund: Als Adoptivtochter eines Auslandschweizers in Ecuador hatte sie zum Zeitpunkt der Adoption kein Anrecht auf die Schweizer Staatsbürgerschaft. Purtschert wurde erst als Teenagerin von ihrem Stiefvater Norberto Purtschert adoptiert. Und: Die Adoption wurde erst nach Erreichen der Volljährigkeit rechtskräftig. Deshalb ging das Schweizer Bürgerrecht nicht auf sie über.
Purtscherts Vater war der Geschäftsführer eines ecuadorianischen Käseherstellers – heute ist er noch im Verwaltungsrat. «Mein Grossvater ist 1949 ausgewandert, um in Südamerika Käse herzustellen und zu vertreiben», erzählt Gabriela Purtschert.
Wir haben 2008 über ihn berichtet:

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Purtschert verbrachte ihre gesamte Kindheit mit ihrem Adoptivvater, der seit ihrem zweiten Lebensjahr mit ihrer Mutter zusammen war und diese schliesslich heiratete, als sie sechs Jahre alt war. Obwohl Purtschert nicht im Besitz der Schweizer Staatsbürgerschaft ist, wuchs sie in Ecuador mit Schweizer Werten und Traditionen auf. Schon früh stand für sie fest: Eines Tages möchte sie in der Schweiz studieren.
Mit 16 verbrachte sie das erste Mal einen Monat in der Schweiz – ein Aufenthalt, der ihren Wunsch nur noch verstärkte – und der gar nicht so abwegig war.
Denn das Familienunternehmen, das den Namen einer traditionellen Schweizer Marke trägtExterner Link, unterstützte seit jeher alle Nachkommen der Familie finanziell, wenn sie ein Jahr in der Schweiz verbringen wollten. Auch Purtschert sollte in den Genuss dieses familiären Stipendiums kommen, wie zuvor bereits ihre Cousinen und Cousins.

Zum Studium in die Schweiz
„Für mich war immer klar: Wenn ich diese Chance bekomme, will ich sie ergreifen“, sagt Purtschert rückblickend. Weil sie nicht über die Schweizer Staatsbürgerschaft verfügte, war es ihr – im Gegensatz zu ihren Brüdern oder Cousinen – nicht möglich, eine Berufslehre in der Schweiz zu machen. Ein Studium hingegen stand ihr offen.
Mit 18 ging sie für ein Jahr als Au-pair nach Deutschland, um Deutsch zu lernen. Danach absolvierte sie den Vorbereitungskurs für die PasserelleExterner Link in Fribourg, erwarb die eidgenössische Matur, schloss ein Bachelor-Studium in Biologie und Umweltwissenschaften an der Universität Zürich ab.
Anschliessend machte sie einen Master in Mikrobiologie und promovierte. Insgesamt elf Jahre Ausbildung – hochspezialisiert und bestens qualifiziert, auch in der Schweiz zu arbeiten.
Mittlerweile lebt Purtschert seit 16 Jahren in der Schweiz spricht fliessend Schweizerdeutsch. «Meine prägendsten Jahre als Erwachsene habe ich hier verbracht» sagt sie. Sie hat sich hier ihr Leben aufgebaut, Freunde gefunden, gearbeitet und selbst ihre beiden jüngeren Brüder leben in der Schweiz.

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Nach 16 Jahren in der Schweiz nicht genügend integriert
Doch jetzt muss sie die Schweiz verlassen. «Als Studentin aus einem Drittstaat hatte ich nur eine Aufenthaltsbewilligung zwecks Ausbildung», erklärt Purtschert. Das zuständige Migrationsamt des Kanton Zürich schreibt, dass es «Personen mit einem solchen Aufenthaltsstatus von Beginn an bewusst ist, dass sie die Schweiz nach Erreichen des Aufenthaltszwecks wieder zu verlassen haben.»
Doch dank der Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Agroscope – dem Kompetenzzentrum des Bundes für die Forschung in der Land- und Ernährungswirtschaft – erhielt sie nach dem Studium eine weitere Aufenthaltsbewilligung. Weil dieser Arbeitsvertrag beim Schweizer Staat jedoch nur bis Ende Januar 2025 befristet war, sei auch ihr «Aufenthaltszweck entfallen», wie es in der Verfügung des Migrationsamts heisst, die Swissinfo vorliegt.
Es folgte das Gesuch um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung beim Migrationsamt des Kantons Zürich. Erfolglos: «Mitte August wurde meine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung nicht verlängert», erzählt Purtschert. Sie wurde zum Verlassen des Schweizer Staatsgebiets bis Mitte Oktober aufgefordert.

Eine besonders enge oder nachweislich vertiefte Integration habe in den letzten 16 Jahren in diesem Zeitraum nicht stattgefunden, heisst es im Schreiben des Migrationsamts. Es bestehe ein «gewichtiges öffentliches Interesse an einer wirksamen Begrenzung des Bestandes der ausländischen Wohnbevölkerung», so das Migrationsamt weiter.
Ohne Job, kein Recht auf ein Leben in der Schweiz. Doch genau das sollte laut Purtscherts Anwalt nicht sein: «Arbeitslosigkeit kann jedem passieren», sagt der Rechtsanwalt gegenüber Swissinfo. Durch den Entzug der Arbeitsbewilligung ist für Purtschert auch die Jobsuche erschwert worden. «Ich habe im Bewerbungsverfahren meistens gar keine Chance meine Situation zu erklären», sagt Purtschert. Zusammen mit ihrem Anwalt hat sie Rekurs gegen den Entscheid eingelegt.
Ein romantisiertes Bild der Schweiz
Purtscherts Vater in Ecuador verstehe die Welt nicht mehr. Er – der wenig Deutsch spricht und nie in der Schweiz gelebt hat – habe von seinen Schweiz-Besuchen ein romantisiertes Bild des Landes. Für ihn laufe in der Schweiz immer alles gut. «Ich muss ihm dann jeweils sagen, dass es für seine Tochter aber momentan gar nicht gut läuft», erzählt Purtschert mit Tränen in den Augen. Die Situation ist belastend für Purtschert.
Gabriela Purtschert möchte in der Schweiz bleiben, ihre Zukunft hier weiter gestalten und: «Der Schweiz auch etwas zurückgeben», sagt sie. «Ich muss die Schweiz verlassen, obwohl ich länger hier lebe als meine Brüder mit Schweizer Pass», sagt sie.
Im Moment könne sie sich ein Leben in Ecuador nicht vorstellen – und wenn sie zurück gehen würde, «dann soll das meine eigene Entscheidung sein», sagt sie.
Der Entscheid zur Ausschaffung ist noch nicht rechtskräftig, was Purtschert ein bisschen Zeit verschafft. Aktuell absolviert sie ein Praktikum in der Lebensmittelindustrie. Bei einer Firma, die ein traditionelles Schweizer Gebäck in einer veganen Variante herstellt. Purtschert ist Expertin für pflanzenbasierte Lebensmittel. Die Berufspraxis soll ihr helfen, einen neuen Job zu finden – und damit ihre Abschiebung zu verhindern.
Editiert von Benjamin von Wyl

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