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Brasiliens Ex-Präsident Lula wird 75: «Ich mache weiter Politik»

ARCHIV - Luiz Inácio «Lula» da Silva: «Sie haben eine Farce kreiert, um meine Kandidatur zu verhindern.» Foto: Paulo Lopes/ZUMA Wire/dpa Keystone/ZUMA Wire/Paulo Lopes sda-ats

(Keystone-SDA) Luiz Inácio «Lula» da Silva hat es in Brasilien schon weit gebracht: vom armen Jungen aus dem Nordosten zum Präsidenten des grössten Landes Lateinamerikas. «Ich bin stolz darauf, gezeigt zu haben, dass ein Arbeiter ein mindestens genauso kompetenter Präsident oder kompetenter als die Söhne der Elite sein kann», sagt Lula, der von den 1960er Jahren an in der Metallindustrie im Grossraum São Paulo tätig war, im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Doch er ist auch tief gefallen: vom Präsidenten zum Häftling. Vor rund einem Jahr wurde Lula aus dem Gefängnis in Curitiba im Süden Brasiliens entlassen. Der Oberste Gerichtshof hatte entschieden, dass in erster und zweiter Instanz verurteilte Straftäter bis zur Ausschöpfung aller möglichen Rechtsmittel auf freiem Fuss bleiben dürfen. So wird der Mann, den der damalige US-Präsident Barack Obama mal als «beliebtesten Politiker der Welt» würdigte, in Freiheit am Dienstag 75 Jahre alt.

Und es stellt sich die Frage: Wo liegt die Grenze bei einem Menschen? In welchem Alter, in welcher Situation? Luiz Inácio da Silva könnte sich auf dem Landgut in Atibaia im Bundesstaat São Paulo zur Ruhe setzen, den Lebensabend mit seiner neuen Partnerin Rosângela da Silva geniessen, aber er gibt nicht auf. Lula kämpft persönlich um Wahrheit und Gerechtigkeit, für sein politisches Erbe und gegen den rechten Präsidenten Jair Bolsonaro. «Die Regierung Bolsonaro», wie er selbst sagt, «ist eine Regierung der Zerstörung. Der Zerstörung der Umweltpolitik, Sozial- und Entwicklungspolitik, der Bildung, Gesundheit», sagt Lula. Er ist ein unermüdlicher Kämpfer.

«Ich arbeite viel, mache weiter Politik», antwortet Lula auf die Frage, wie er die Pandemie verbringe und was seine Pläne für die Zeit danach seien. Er habe viele Besprechungen, vielleicht sogar mehr als früher, aber am Computer. Mit seiner linken Arbeiterpartei PT nimmt er an den Kommunalwahlen in Brasilien teil. Am 15. November wählen die Brasilianer unter anderem in den Metropolen São Paulo und Rio de Janeiro neue Bürgermeister und Stadträte. In den Umfragen führen dabei der auf Bolsonaro-Linie liegende Celso Russomano und Rios ehemaliger Olympia-Bürgermeister Eduardo Paes. Die Abstimmung 2016 war ein Debakel für die bis kurz zuvor regierende Arbeiterpartei der abgesetzten Präsidentin Dilma Rousseff. Sie konnte keine Stichwahl für sich entscheiden und auch keinen Bürgermeister mehr in ihrer früheren Hochburg stellen – dem Industriegebiet rund um die Wirtschaftsmetropole São Paulo, in dem etwa Autokonzerne wie Volkswagen angesiedelt sind. Hier begann Lulas politische Karriere als Gewerkschaftsführer und Streikorganisator in den 1970er Jahren.

1980, zu Zeiten der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985), wurde er für rund 30 Tage verhaftet. Zusammen mit anderen Gewerkschaftern, Intellektuellen und Vertretern verschiedener sozialer Gruppen gründete er damals die PT. Zum Präsidenten wurde er am 27. Oktober 2002 nach mehreren vergeblichen Anläufen erst gewählt, als er sein Arbeiterimage ablegte und sich ein Sakko überwarf.

Den Bezug zur Basis hat er behalten. «Ich würde gerne Wahlkampf auf der Strasse machen, aber wegen des Coronavirus ist das nicht möglich», sagt Lula heute. «Das Problem ist, dass für mich der persönliche Kontakt grundlegend ist, um den Menschen in die Augen zu sehen.» Wenn die Pandemie vorbei ist, möchte er deshalb wieder das Land bereisen. Eine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2022 sei keine Frage des persönlichen Wunsches. In den Umfragen für die Wahl im Oktober 2018, die schliesslich Bolsonaro gewann, hatte Lula vorn gelegen. Doch nachdem er im Januar 2018 in zweiter Instanz zu zwölf Jahren und einem Monat Gefängnis verurteilt worden war, gab der Oberste Gerichtshof im April grünes Licht für eine Inhaftierung. Lula beteuert immer noch seine Unschuld, sieht eine Verschwörung seiner konservativen Gegner: «Sie haben eine Farce kreiert, um meine Kandidatur zu verhindern. Und das Ergebnis dieser Lügen ist Bolsonaro», sagt er.

Lula galt lange Zeit als Lichtgestalt der lateinamerikanischen Linken. In seiner Zeit als Präsident zwischen 2003 und 2010 hat Luiz Inácio da Silva, auch begünstigt von hohen Rohstoffpreisen, vielen Menschen mit Sozialprogrammen und Familienhilfe den Weg aus der bitteren Armut ermöglicht. Auch wirtschaftlich boomte Brasilien während seiner Amtszeit.

Allerdings blühte auch die Korruption. In dem Prozess gegen Lula ging es um eine mögliche Begünstigung durch einen Baukonzern bei einem Penthouse am Atlantik – als Gegenleistung für Auftragsvergaben. Der Oberste Gerichtshof legte eine Berufungsverhandlung just auf den Geburtstag, wie die «Valor Económico» am Montag berichtete. Die Arbeiterpartei hat sich von den Korruptionsskandalen, der umstrittenen Amtsenthebung Rousseffs und der Verurteilung und Inhaftierung Lulas kaum erholt. Die Linke tut sich schwer, eine gemeinsame Linie zu finden.

Dennoch glaubt Lula, dass es für 2022 möglich ist, eine breite Opposition gegen Bolsonaro aufzustellen. «Er hat einen Teil unserer Gesellschaft ermutigt, der seine Barbareien verteidigt und sich zuvor schämte, das öffentlich zu sagen. Und es gibt mächtige Leute, die die Art und Weise Bolsonaros stört, aber die seine Politik gegen die Umwelt, gegen Arbeiter, gegen Minderheiten unterstützen», sagt er. Es reiche deshalb nicht, gegen die Person Bolsonaro zu kämpfen. «Man muss den Menschen die Folgen seiner Entscheidungen erklären.»

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