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Das Bücher-Kabinett der leisen Emanzipation

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint: Trivialliteratur ist für die Frauenemanzipation wichtig. swissinfo.ch

An den Solothurner Literaturtagen war ein Schwerpunkt der Frauenliteratur gewidmet. Das "Kabinett der sentimentalen Trivialliteratur" – gleichzeitig Museum und Bibliothek – lud zu einer Reise in die Anfänge der Frauenemanzipation ein.

Die ausgestellten Bücher und Zeitschriften, die alle zwischen der Französischen Revolution und 1950 geschrieben wurden und einen Bezug zu Frauenthemen haben, versetzen die Besucher in vergangene Zeiten.

Da finden sich Werke mit Titeln wie “Sittenbüchlein für Kinder aus gesitteten Ständen” aus dem Jahr 1785, oder “Die Kunst, ein gutes Mädchen, eine gute Gattin, Mutter und Hausfrau zu werden. Ein Handbuch für erwachsene Töchter, Gattinnen und Mütter” von Johann Ludwig Ewald (1747-1822).

Doch was haben Bücher, die über zweihundert Jahre alt sind und solche Titel tragen mit Emanzipation zu tun?

“Emanzipatorische Bestrebungen haben schon früh angefangen, und zwar im 18. Jahrhundert mit der empfindsamen Literatur”, sagt Lotte Ravicini, die Kabinettgründerin, gegenüber swissinfo.ch. “Die Schriftstellerin Sophie von La Roche zum Beispiel, hat pädagogische Schriften für junge Mädchen geschrieben.”

Dieser Gedanke sei im 19. Jahrhundert wieder aufgenommen und weitergeführt worden: “Es gab viele Frauen, die einen weiten Horizont hatten und sich für die Mädchenbildung einsetzten. Oder dafür, dass sich Frauen überhaupt durchsetzen”, erklärt Ravicini.

Zu jener Zeit sei es nicht selbstverständlich gewesen, dass sich beispielsweise eine Frauenfigur in einem Roman gegen die Schwiegermutter widersetzt. “Es wurde auch nicht gern gesehen, dass Frauen für Geld arbeiten”, erzählt sie. “Autorinnen mussten sich dafür einsetzen, dass es nicht schäbig ist, als Frau Geld zu verdienen.”

So sei es damals ein grosser Fortschritt gewesen, als ein Buch mit dem Titel “Die Geschäftsfrau – was Frau machen muss, wenn sie einen Industriebetrieb erbt” erschien. “Heute würde sich niemand darüber wundern”, sagt Ravicini.

Vom “Backfisch” zur Ehe- oder Berufsfrau

Für Ravicini ist die Trivialliteratur sehr wichtig bei der Aufarbeitung der Geschichte, denn die Wandlungen des sozialen Lebens liessen sich auf den Werken jener kleinen Schriftsteller, welche die Meinung aller Welt wiedergeben, am sichersten erraten.

Als Beispiel ist die sogenannte “Backfischliteratur” zu nennen, die ebenfalls in der Bibliothek vertreten ist. Der Begriff “Backfisch” bezeichnet Mädchen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren.

Die Backfischromane wurden speziell für Mädchen in diesem Alter geschrieben. Darin geht es um Themen wie das Verhältnis der Romanheldin zu Vater und Mutter, um “Trotzköpfigkeit”, Mädchenfreundschaften und um weiblichen Emanzipationsdrang. Erstaunlich ist, dass bereits in diesen Romanen eine Frage aufgeworfen wurde, die auch heute noch aktuell ist: Ehe oder Beruf?

Bei den jungen Mädchen waren solche Romane sehr beliebt. Es wurden ungefähr 2000 Romane geschrieben, die zum Teil in sehr hohen Auflagezahlen erschienen sind.

Klischees von damals und heute

Auch wenn sich in den Werken der Trivialliteratur emanzipatorische Themen finden lassen, stösst man beim Gang durch das Museum immer wieder auf Bücher und Zeitschriften, die das Klischee der Frau als Hausfrau, Mutter und Ehefrau pflegen.

Da stellt sich die Frage, ob die Trivialliteratur nicht vielmehr die Klischees gefestigt hat, als dass sie emanzipatorische Themen und Gedanken vorantrieb? Lotte Ravicini verneint: “Natürlich gab es Werke, welche die Frau nur als Hausfrau und Mutter beschrieben, aber, es gab auch immer Opposition dagegen.”

Schliesslich sei es heute nicht anders: “Es gibt Bücher und Zeitschriften, welche die Sehnsucht der Frau nach Liebe, Geborgenheit und Schönheit ansprechen. Das hat auch seine Berechtigung”, sagt sie. “Dann hat es andere, die ein Thema wegen emanzipatorischen Gründen bringen.”

In Bezug auf die Männer sei es im Übrigen gleich: “Auch hier kommen damals wie heute die gleichen Sprüche wie der, dass die Männer oft schlecht gelaunt sind. Oder kürzlich habe ich irgendwo gelesen: Alle Männer sind Egoisten. Das sind auch Klischees.”

Sandra Grizelj, Solothurn, swissinfo.ch

Im Gegensatz zur “hohen” Literatur, gilt Trivialliteratur als anspruchslos, wertlos, kitschig und simpel.

Dennoch erfreute sie sich grosser Beliebtheit und war auch sehr verbreitet.

2001 wurde das Kabinett eröffnet.

Das Kabinett ist eine Mischung von Bibliothek und Museum und ist vorwiegend auf Frauenliteratur des 19. Jahrhunderts spezialisiert.

Zu sehen sind pädagogische Schriften, Haushalt-, Doktor- und Jungmädchenbücher, Romane, Ärzteromane usw.

Zum 33. Mal stand Solothurn über das Auffahrtswochenende ganz im Zeichen der Literatur. Zu den rund 70 Veranstaltungen kamen 11’000 Besucher, was einen neuen Rekord darstellt.

Insgesamt waren 92 Autorinnen und Autoren zu Gast, die aus ihren neuen Büchern oder aus noch unveröffentlichten Texten vorlasen.

Auf dem Programm standen zudem Diskussionen zu aktuellen Themen wie das Verlegen in der Schweiz, das Rezensieren im Internet, das Übersetzen in Südosteuropa sowie Frauenliteratur.

Der grosse Schillerpreis, der zum Auftakt der Solothurner Literaturtage vergeben wurde, ging an den Waadtländer Lyriker, Essayist und Übersetzer Philippe Jaccottet.

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