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G20-Gipfel: Schweizer Presse enttäuscht

Nicolas Sarkozy will die Schweiz bei den Vorbereitungen des nächsten Gipfels dabei haben. Keystone

Der Gipfel in Seoul hat ausser vielen Worten wenig gebracht. Darüber sind sich die Kommentatoren der Schweizer Zeitungen einig. Für einen Schweizer Lichtblick sorgte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der die Schweiz in die Vorbereitungen des nächsten Gipfels einbeziehen will.

Die Kommentare zum Gipfel in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul hielten am Samstag nicht hinter dem Berg zurück: «Amerika betrügt sich selber», titelte die Basler Zeitung, «Bitterer Rückschlag für Obama» war in Tages Anzeiger und Der Bund zu lesen, «Wirkungsarmer G-20-Gipfel» in der Neuen Zürcher Zeitung und «G20, eine Reihe praktisch unbrauchbarer, guter Vorschläge» in der Tessiner La Regione.

«Wer viel redet, hat wenig zu sagen», schreibt der Kommentator der Neuen Zürcher Zeitung. «Es ist das eine, in einer akuten Krise zusammenzustehen, aber etwas ganz anderes, in einer wieder etwas normaleren Lage wirtschaftspolitische Zugeständnisse zu machen.»

Die USA hätten sich in Seoul plötzlich mit dem Rücken zu Wand gesehen: «Dass fast alle die US-Notenbank lauthals kritisierten, war ein Hinweis darauf, dass den USA die globale wirtschaftliche Führungsrolle zu entgleiten droht.»

Sieger China

Eine Einschätzung, die auch der Kommentator für die beiden Zeitungen Tages Anzeiger und Der Bund teilt: «Die USA haben die Führungsrolle in der Weltwirtschaftspolitik verloren.» Und er ergänzt: «Ob und wie das damit entstandene Vakuum gefüllt werden kann, ist die grosse Unbekannte, die auf der Zukunft der G-20 lastet.»

Zwar habe ein totaler Zusammenbruch des zweitägigen Gipfels verhindert werden können, doch sei dieser für US-Präsident Barack Obama besonders bitter gewesen, «schaffte er es doch zu keinem Zeitpunkt, die frühere Führungsrolle seines Landes zurückzugewinnen. China, Deutschland, Indien und Brasilien sperrten sich hartnäckig gegen amerikanische Vorschläge zur gezielten Kanalisierung der Exporte und zu einem Ausgleich der Währungen».

China könne sich als Gewinner des Treffens sehen, «widersetzte es sich doch erfolgreich der Forderung, die eigene Währung schneller aufzuwerten, um den USA im Handel entgegenzukommen. Brasilien setzte zudem durch, die beschlossenen Kapitalimportgrenzen behalten zu dürfen, obwohl dies als protektionistische Massnahme zu sehen ist».

Damoklesschwert Armut

Es sei zu erwarten gewesen: «Der G-20-Gipfel in Seoul hat nicht viele zählbare Ergebnisse gebracht», schreibt die Basler Zeitung. «Der Streit um Handelsungleichgewichte und faire Wechselkurse überdeckt indessen ein viel tiefer liegendes Problem, das es im Blick auf künftige Krisen unbedingt zu lösen gilt.»

Amerika könne sich eine längere Rezession gar nicht leisten, betont der Kommentator: «Das soziale Sicherheitsnetz des Landes ist dermassen löchrig, dass Millionen von Menschen schon in einer etwas längeren Wirtschaftsflaute arbeitslos werden und in die Armut abdriften.»

Wie es scheine, seien auch die Chinesen auf dem Weg, die Fehler der Amerikaner zu übernehmen: «Die Regierung in Peking dürfe es mit der Sparwut nicht übertreiben und müsse Ausgaben für dringend nötige Reformen des Sozialsystems erhöhen, warnt der jüngste Länderbericht der OECD.»

In Europa hingegen müssten sich manche Länder «vielleicht vorhalten lassen, die Risikovorsorge zu übertreiben und den Bürgern eine Vollkasko-Mentalität einzuimpfen, die deren intrinsische Antriebskräfte lähmt. Doch immerhin geht eine solche Politik nicht auf Kosten anderer Länder».

Vertane Chance

Die Tessiner Zeitung La Regione wertet das Treffen der Führer der Welt als eine weitere vertane Chance seit dem Ausbruch der Finanzkrise: «Man kam zu keinen wirklichen Entscheidungen – wegen zu vieler Vetos.» Handels-Ungleichgewichte und kompetitive Währungsabwertungen würden weiterhin bestehen bleiben.

Für die Westschweizer Le Temps war der Gipfel in Seuol der «bisher am wenigsten westliche der G20-Gipfel bis heute». «Nach Washington, London, Pittsburgh und Toronto, hat der Gipfel von Seoul die Verschiebung der globalen wirtschaftlichen Führung in Richtung Osten und Süden beschleunigt.»

Wenn Asien nun von Seoul nach Hause gehe mit einem «Entwurf eines Schutzsystems zur Vermeidung erneuter Finanzkrisen wie jener, die Asien 1997 erlitten hatte», gehe Europa lediglich heim «mit dem Status quo im Währungskrieg oder bei den Ungleichgewichten in den Leistungsbilanzen» und somit ohne eine «spezifische Botschaft», so der Leitartikler der Tageszeitung.

Und die Schweiz?

Die Schweiz war nicht nach Seoul eingeladen worden. «Aber hat sie wirklich viel verpasst, wenn man die magere Bilanz des Treffens anschaut», fragt die Freiburger La Liberté.

Ein Vorschlag des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy liess aus Schweizer Sicht jedoch aufhorchen: «Im Rahmen der Vorbereitungsseminare sollen Länder eingeladen werden, die in Finanzfragen etwas zu sagen haben», sagte Sarkozy am Freitag an einer Medienkonferenz in Seoul. «Und die Schweiz hat in Finanzfragen Gewicht.»

Dies habe er auch Bundespräsidentin Doris Leuthard so gesagt. Frankreich übernimmt nächstes Jahr die Präsidentschaft der G20. Eine direkte Teilnahme der Schweiz am nächsten G20-Gipfel im November 2011 in Cannes schloss der französische Präsident hingegen aus.

Die neue Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf reagierte am Samstag erfreut. Die Schweiz habe in Finanzfragen etwas zu sagen, » und Präsident Sarkozy weiss das auch», sagte sie im Schweizer Fernsehen.

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