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Matthias Breschan von Longines: “Der Kauf einer Uhr bleibt eine zutiefst emotionale Handlung”

Matthias Breschan steht auf einer belebten Strasse vor dem neuen Geschäft der Uhrenmarke in der österreichischen Hauptstadt.
Der CEO von Longines, Matthias Breschan, bei der Eröffnung einer neuen Boutique der Schweizer Uhrenmarke in Wien am 28. September 2023. Andreas Tischler / Picturedesk.com

Im Gegensatz zu anderen Schweizer Uhrenhäusern konnte Longines in diesem Jahr in China ein gutes Wachstum verzeichnen und ist zuversichtlich für diesen Markt. CEO Matthias Breschan gibt einen Einblick in die Strategie des Unternehmens zwischen Tradition und E-Commerce.

Das 1832 in Saint-Imier gegründete Unternehmen Longines ist stolz auf seine Verankerung in dieser Kleinstadt im Berner Jura wie auf seine technologischen Innovationen.

Laut Schätzungen von Morgan Stanley und LuxeConsult hat der Jahresumsatz von Longines im Jahr 2022 1,2 Milliarden Franken überschritten, womit das Unternehmen der Swatch Group unter den zehn führenden Schweizer Uhrenmarken positioniert ist.

Am historischen Sitz von Longines interviewte SWI swissinfo.ch den CEO, den Österreicher Matthias Breschan.

SWI swissinfo.ch: Im Juli 2020 haben Sie die Nachfolge von Walter von Kaenel angetreten, der Longines 32 Jahre lang geleitet hat. Wie verlief der Übergang?

Matthias Breschan: Mit Respekt und Bescheidenheit. Longines ist eine der erfolgreichsten Schweizer Uhrenmarken, und dieser Erfolg ist grösstenteils meinem Vorgänger zuzuschreiben.

Insofern war es nicht die Aufgabe der Marke Longines, sich an den neuen CEO anzupassen, sondern vielmehr die Aufgabe des neuen CEO, sich an die Marke anzupassen.

Folglich untersuchte ich die Gründe für den Erfolg von Longines, um diesen Erfolg fortzusetzen und gleichzeitig unsere Marke in einer Weise weiterzuentwickeln, die die Vergangenheit respektiert.

Matthias Breschan, ein Abgänger der Wirtschaftsfakultät der Universität Wien, trat 1996 als Regional Sales Manager für Swatch in die Swatch Group ein. Danach wurde er unter anderem Direktor von Rado und später von Hamilton.

Seit 2005 ist der österreichische Staatsbürger Mitglied der erweiterten Konzernleitung der Swatch Group, 2020 wurde er zum CEO von Longines ernannt. Zudem ist er für die Swatch Group in Taiwan und Österreich verantwortlich.

Vor seinem Eintritt in die Swatch Group war Matthias Breschan bei Texas Instruments und Alcatel Mobile Phones in den Bereichen Produktmarketing, internationales Marketing und Verkauf tätig.

Und worauf genau führen Sie den Erfolg der Marke Longines zurück?

Longines hat drei entscheidende Unterscheidungsmerkmale: Der wichtigste Punkt liegt in unserem Erbe. In der Schweizer Uhrenindustrie besitzt Longines meiner Meinung nach das bemerkenswerteste Erbe.

Das ist auf grosse Erfindungen wie GMT [gleichzeitige Anzeige von zwei Zeitzonen] und Flyback [Möglichkeit, einen laufenden Chronographen zurückzusetzen, ohne ihn anhalten zu müssen] sowie auf die Beherrschung von hohen Frequenzen zurückzuführen.

Die letztgenannte Technologie war für die Entwicklung der Präzisionschronometrie von entscheidender Bedeutung.

Dieses Erbe ist nicht nur für Sammlerinnen und Sammler von grosser Bedeutung, sondern auch für die jüngere Generation, die auf der Suche nach hochwertigen Produkten ist, die ein Leben lang oder sogar länger halten sollen.

Darüber hinaus sind wir die einzige Marke in unserem Segment, die bei Männern und Frauen gleichermassen erfolgreich ist. Und wir haben sowohl mit unseren klassischen als auch mit unseren sportlichen Kollektionen Erfolg. In Zukunft möchte ich diese drei Unterscheidungsmerkmale noch stärker hervorheben.

Verlassen Sie sich bei der Entwicklung neuer Modelle mehr auf Ihre Intuition oder auf Marktforschung?

Ich stütze mich auf die drei oben erwähnten Unterscheidungsmerkmale. Um die Zukunft zu definieren, ist es entscheidend, auf die Vergangenheit zu schauen und sie weiterzuentwickeln.

Mit anderen Worten: Bei der Entwicklung neuer Produkte ist es von grösster Bedeutung, die eigene Authentizität zu bewahren und keine Botschaft zu stricken, die sich vom eigenen Erbe entfernt.

Die Schweizer Uhrenindustrie eilt von Rekord zu Rekord, und die Exporte dürften dieses Jahr einen neuen Höhepunkt erreichen. Was ist mit Longines?

Ich begann im Juli 2020, mitten in der Pandemie, für Longines zu arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt waren alle unsere 4000 Verkaufsstellen in 150 Ländern geschlossen.

Glücklicherweise gab es im August 2020 erste Anzeichen einer Erholung auf dem asiatischen Markt, was grösstenteils auf China und die Stärke unserer Marke zurückzuführen war.

Das Jahr 2022 war für Longines ein aussergewöhnliches Jahr, und wir sehen den Zahlen für das gesamte Jahr 2023 mit grossem Optimismus entgegen.

Für die Schweizer Uhrenindustrie waren die jüngsten Umsatzzahlen ausgezeichnet. Die Volumen sind jedoch deutlich zurückgegangen. Könnten einige Ihrer Lieferanten von dieser Entwicklung betroffen sein und mit welchen Folgen?

Was unsere Marke betrifft, so haben wir sowohl unsere Stückpreise als auch unsere Produktionsmengen leicht erhöht. Mit anderen Worten: Wir haben kein Problem mit zu geringen Produktionsvolumen für unsere Komponenten.

Darüber hinaus profitiert die Swatch Group von einer starken vertikalen Integration durch unsere eigenen Fabriken für Uhrenkomponenten, einschliesslich der Herstellung von Uhrwerken (ETA), Zifferblättern (Rubattel & Weyermann), Zeigern (Universo) und Gehäusen (Ruedin).

Dazu kommt, dass unsere Gruppe in allen Marktsegmenten vertreten ist. All dies ermöglicht es uns, unsere Produktionsmengen auf Gruppenebene besser zu steuern.

In welchen Ländern streben Sie ein starkes Umsatzwachstum an?

In den Jahren 2022 und 2023 waren unsere Fortschritte in allen Schlüsselländern hervorragend, insbesondere in den USA, Europa, Japan, Südostasien und Australien.

Sind Sie nicht zu sehr vom grossen chinesischen Markt abhängig, der mit einer gewissen Wachstumsverlangsamung und einer Immobilienkrise zu kämpfen hat?

Tatsächlich haben wir im Gegensatz zu anderen Marken in China in letzter Zeit ein gutes Wachstum verzeichnet, und wir bleiben zuversichtlich, was die Zukunft dieses Marktes betrifft.

Wie steht es mit dem indischen Markt?

Auch unsere Umsätze in Indien entwickeln sich rasant und wir halten diesen Markt für sehr vielversprechend. Im Vergleich zu China hat der indische Markt jedoch eine viel bescheidenere Ausgangsbasis.

Was ist Ihr Credo in Bezug auf den Online-Verkauf, insbesondere die Fähigkeit, Emotionen elektronisch zu vermitteln?

Während der zwei Jahre der Pandemie haben wir den elektronischen Handel erheblich ausgebaut. Als ich bei Longines anfing, verkauften wir über das Internet nur in sechs bis acht Ländern.

Heute vermarkten wir unsere Uhren online in allen 33 Ländern, in denen wir Niederlassungen haben, und diese Verkäufe machen zwischen 5 und 10% unseres Gesamtumsatzes aus.

Ich bin fest von den Synergien zwischen einer Online-Präsenz und der Existenz von physischen Geschäften überzeugt. Im Internet haben unsere Kunden die Möglichkeit, jederzeit, Tag und Nacht, unsere gesamten Kollektionen gründlich zu durchsuchen.

Der Kauf einer Uhr bleibt jedoch ein zutiefst emotionaler Akt, ein Weg, um die eigenen Affinitäten und die eigene Persönlichkeit widerzuspiegeln. Daher zieht es die Mehrheit unserer Kundschaft vor, diesen Kaufakt in einer Boutique abzuschliessen.

Einige Luxusmarken schwören auf den Direktverkauf ‒ ein Trend, der in der Uhrenbranche zunimmt.

Von unseren 4000 Verkaufsstellen weltweit sind nur 260 Boutiquen ausschliesslich der Marke Longines gewidmet. Darüber hinaus wird nur die Hälfte dieser Boutiquen direkt von Longines betrieben.

Mit anderen Worten: Unsere Strategie beruht keineswegs auf der dogmatischen Förderung des Direktverkaufs. Wir analysieren jeden Markt individuell.

So kommt es beispielsweise häufig vor, dass eine optimale Lösung in einem bestimmten Viertel die Zusammenarbeit mit einer fest etablierten Multimarken-Boutique ist.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Sekundärmarkts, insbesondere für CPO-Uhren, also zertifizierte gebrauchte Uhren?

Grundsätzlich richten wir uns nicht an dieses Marktsegment. In den Sammlerbereichen unserer eigenen Geschäfte legen wir jedoch zunehmend Wert darauf, unser Erbe zu präsentieren, wie wir es in unserem Museum in Saint-Imier tun.

Ein Museum, das viel mehr Besucher empfangen würde, wenn es sich in Zürich oder Genf befände.

Aber genau das wollen wir nicht! Wir möchten vielmehr, dass die Liebhaberinnen und Liebhaber unserer Marke nach Saint-Imier kommen, um die starke Uhrmachertradition unserer Region zu spüren.

Die Longines-Manufaktur in Saint-Imier, im Herzen der Täler des Berner Jura. © Keystone / Christian Beutler

Erschwert die Tatsache, dass Sie in einer Randregion angesiedelt sind, die Rekrutierung, zumal viele Schweizer Uhrenhersteller mit einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zu kämpfen haben?

Longines hat seit seinen Anfängen im Jahr 1832 seine Wurzeln in Saint-Imier. Heute arbeiten viele Kolleginnen und Kollegen seit zehn, zwanzig oder sogar dreissig Jahren für unser Unternehmen. Dies unterstreicht den Reichtum an technischen, kaufmännischen und logistischen Kompetenzen in unserem Einzugsgebiet.

Mit anderen Worten: Es ist für uns nicht schwierig, vor Ort qualifizierte Arbeitskräfte zu rekrutieren, mit Ausnahme von aufstrebenden Bereichen wie E-Commerce und Digitalisierung.

Dieser Mangel an neuen Fachkräften ist jedoch eine Herausforderung, die die gesamte Schweiz betrifft, einschliesslich Städten wie Zürich und Genf.

Lesen Sie auch unser Porträt des ehemaligen Longines-Direktors Walter von Kaenel:

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Editiert von Samuel Jaberg, aus dem Französischen übertragen von Marc Leutenegger

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