Animator Kossmann und die schmerzhafte ZSC-Wahrheit
(Keystone-SDA) Hans Kossmann soll die trägen Lions wecken und die ZSC-Blamage des Jahrzehnts verhindern. Die zeitlich begrenzte Mission stellt den erfahrenen Kanada-Schweizer auf die Coaching-Probe.
Die ZSC Lions befinden sich in einer ungemütlichen Lage. Mit ihrem schwedischen Modell sind sie gescheitert; Ende Dezember beendeten die Chefs das Projekt mit Hans Wallson und Lars Johansson. Ein Zürcher Not-Call erreichte Hans Kossmann, der auf Vancouver Island zusammen mit seiner Partnerin ein Haus renovierte. Elf Monate nach der Freistellung in Ambri-Piotta soll der Kanada-Schweizer nun unter Zeitdruck an der Spitze der Lions-Pyramide Sanierungsarbeiten vornehmen.
«Wichtig ist, dass er die Spieler kennt und sofort handeln kann», sagte der Lions-CEO Peter Zahner vor dem National-League-Comeback des 55-jährigen Nordamerikaners. Inzwischen ist der neue Animator 32 Tage im Amt, verändert hat sich wenig Grundlegendes, die Not wurde nicht kleiner, aber die Differenz zum Tabellen-Neunten Langnau. Nach drei Niederlagen in Serie beträgt die Reserve nur noch fünf Punkte – notabene vor der Woche der Playoff-Wahrheit gegen die Direktkonkurrenten SCL Tigers, Genève-Servette und Lausanne.
Innerhalb von 96 Stunden könnte sich die Lage vor der Olympia-Pause entspannen, oder die Probleme der Zürcher akzentuieren sich endgültig. Unter der Leitung von Kossmann verloren die Lions sechs von neun Spielen. Dass die Mannschaft nie chancenlos war und im Prinzip immer hätte punkten können, schmälert die Enttäuschung nur partiell. «Das ist die Wahrheit – wir sind eine Mannschaft auf der Suche nach Identität», bemüht Kossmann weder Parolen noch Floskeln.
«Nur weil ein neuer Coach gekommen ist, geht nicht alles per Klick einfach um 100 Prozent besser. Das Team muss leiden und lernen, sich in engen Spielen auch selber zu helfen.» Die Metapher des schlafenden Riesen hält der Trainer für reichlich verfehlt. Von der Träumerei, zu den Grossen zu gehören, müsse sich jeder Einzelne verabschieden: «Wir sind eine Mannschaft auf Platz 6, die keine gute Saison gespielt hat.»
Ob die Politik der offenen Worte und ungefilterten Feedbacks im Kern des unberechenbaren Ensembles auf offene Ohren stösst, ist ungewiss. Die ungemütlichen Wellenbewegungen liessen sich durch den Kulturwechsel in der Teamführung nicht einschränken. Das Spektrum ist weiterhin unerklärlich breit: Lugano deklassierten die Stadtzürcher 6:1, gegen die beiden schlechtesten Teams Kloten (3:4 n.P.) und Ambri-Piotta (2:3 n.V.) verloren sie, den Leader Bern (4:2) hingegen düpierte Kossmanns Auswahl.
Skills alleine genügten nicht, «wir benötigen mehr dreckige Tore», sagt der frühere Stürmer, der als Spieler in den Achtziger- und Neunzigerjahren durch untere Schweizer Ligen tingelte. Von seiner Passion schwärmen die Aficionados in Pruntrut, Dübendorf und in Bülach heute noch. Die gleiche Einstellung verlangt er auch von den Oerliker Hochlohnbezügern: «Wir müssen unsere Arbeit mit Leidenschaft erledigen.»
Bei seiner fieberhaften Suche nach Konstanz ist Kossmann aufgefallen, «dass die Liste der Leader zurzeit kurz ist». Einerseits wegen des umfangreichen medizinischen Bulletins (fünf prominente Stammspieler leiden an Gehirnerschütterungen), zum anderen seien zu viele Akteure mit sich selber beschäftigt.
Dass er das Team nur bis im Frühling coacht und danach wie vereinbart dem Vienna-Verantwortlichen Serge Aubin weicht, ist für Kossmann kein Themenansatz. Vor einem «Lame-Duck-Effekt» fürchtet er sich nicht. «Auch Spieler, die bereits anderswo unterschrieben haben, wissen, wie viel in einem Team mit Potenzial drinliegen kann. Sie spielen für ihre eigene Karriere.»
Und wie steht es um seine eigenen Ambitionen? Zürich ist womöglich auch für den Rückkehrer von der Pazifikküste eine einmalige Chance, sich bei den Sportchefs der Liga wieder ins Gespräch zu bringen.
«Es geht hier nicht um mich, es geht nicht darum, mich zu zeigen. Für mich ist es in erster Linie eine Herausforderung, Bewegung in eine eigentlich gute Mannschaft zu bringen», sagt Kossmann zur Nachrichtenagentur sda und verbreitet in seinem Office im ewigen Provisorium «Olymp» Zuversicht: «Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Wir können trotz allem eine schöne Überraschung schaffen.»