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Ist der “starke Franken” nur ein Mythos?

Euro- und Franken-Münzen
Gibt mehr als auch schon: Für einen Franken erhält man mittlerweile mehr als einen Euro. Martin Ruetschi

Der Euro notiert zum Franken so schwach wie noch nie, zuletzt kostete er weniger als 95 Rappen. Trotzdem wird der starke Franken nicht mehr als Bedrohung für die Schweizer Wirtschaft gesehen. Wieso ist das so?

Es war der grosse Auftritt des Philipp Hildebrand, damals Präsident der Schweizerischen Nationalbank: Am 6. September 2011 um 10:00 Uhr trat er vor die Medien und sagte: “Die Nationalbank wird ab sofort keinen Eurokurs unter 1.20 Franken pro Euro mehr tolerieren.” Würde der Euro weniger als 1.20 Franken kosten, wäre er zu stark und damit eine Bedrohung für die Schweizer Wirtschaft.

Tempi passati. Seit vielen Jahren kostet der Euro nun schon wieder weniger als 1.20 Franken. Zuletzt lag der Euro-Franken-Kurs bei 95 Rappen pro Euro. Trotzdem ist keine Rede mehr davon, dass der Euro-Franken-Kurs eine Bedrohung sei für die Schweizer Wirtschaft.

Weshalb ist das so?

Der Franken hat gegenüber dem Euro stark aufgewertet

Blicken wir zurück auf die frühen 2010er-Jahre: Während der Mindestkurs in Kraft war, kostete ein Euro meist nur wenig mehr als 1.20 Franken. So blieben Ferien im europäischen Ausland für Leute aus der Schweiz immer etwa gleich teuer. Und umgekehrt kosteten Exportschlager wie etwa Schweizer Uhren im Euroraum immer etwa gleich viel.

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Das änderte sich schlagartig mit der Aufhebung des Mindestkurses im Januar 2015: Der Euro-Franken-Kurs fiel für längere Zeit auf unter 1.10 Franken. Fortan kostete der Euro also weniger. Das bedeutete für Leute aus der Schweiz: Der Städtetrip nach Barcelona wurde günstiger. Umgekehrt wurden Schweizer Uhren in Berlin teurer. Was damals passierte, nennt man eine Aufwertung des Schweizer Frankens.

Seit September 2011 hat sich der Franken gegenüber dem Euro um rund 20 Prozent aufgewertet. Auf den ersten Blick scheint der Franken also tatsächlich zur Stärke zu neigen. Doch das ist noch nicht das Ende der Geschichte.

Ein Warenkorb voller Währungen hilft uns weiter

Die Schweiz verkauft ihre Uhren nämlich nicht nur in den Euroraum, sondern weltweit. Wie stark der Franken ist, hängt darum nicht nur vom Euro-Franken-Kurs ab, sondern auch von anderen Wechselkursen, etwa dem Dollar-Franken-Kurs. Öffnen wir also unseren Blick und fragen: Wie stark ist der Franken, wenn wir ihn mit allen wichtigen Währungen vergleichen?

Diese Frage beantworten Fachleute, indem sie den sogenannten “handelsgewichteten” Frankenkurs berechnen. Das ist der Preis für einen ganz speziellen Warenkorb, nämlich für einen Warenkorb, in dem nicht etwa Spaghetti und Eier liegen, sondern Euros, US-Dollar und viele andere Währungen.

Um die Idee hinter dem handelsgewichteten Wechselkurs zu verstehen, spinnen wir das Beispiel mit den Eiern noch etwas weiter: Wenn jemand Spaghetti Carbonara kochen möchte, spielt es keine Rolle, wie hoch die einzelnen Preise von Spaghetti und Eiern sind. Wichtig ist, wie viel das Abendessens insgesamt kostet.

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Dieselbe Logik spielt beim handelsgewichteten Wechselkurs: Für die Schweizer Volkswirtschaft als Ganzes spielt es keine Rolle, ob der Euro günstiger wird oder der Dollar teurer. Wichtig ist, wie sich der Preis aller ausländischen Währungen insgesamt verändern. Genau das misst der handelsgewichtete Wechselkurs.

Schaut man sich die Entwicklung des handelsgewichteten Wechselkurses an, sieht man: Seit September 2011 hat sich der Franken auch insgesamt aufgewertet, und zwar um rund 18 Prozent. Das ist eine etwas kleiner Aufwertung als gegenüber dem Euro alleine. Doch es bestärkt den Eindruck, dass der Franken auch heute noch eine starke Währung ist.

Die hohe Inflation verlangt eine weitere Korrektur

Doch die Geschichte des vermeintlich starken Frankens ist noch immer nicht zu Ende. Neben dem Wechselkurs bestimmen nämlich auch die ausländischen Preise, wie einfach Schweizer Firmen ihre Produkte im Ausland verkaufen können.

Und die Preise im Ausland steigen im Durchschnitt stärker als die Preise in der Schweiz. In den letzten Monaten hat sich dieser Trend noch akzentuiert, weil die Inflationsraten in der Eurozone und in den USA auf ein Mehrfaches der Schweizer Teuerung gestiegen sind.

Für die Schweiz bedeutet das: Egal, wie hoch der handelsgewichtete Wechselkurs ist – wegen der hohen Teuerung im Ausland wird es für Schweizer Firmen im Laufe der Zeit immer einfacher, ihre Produkte ins Ausland zu exportieren.

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Wie gross dieser Effekt ist, können Ökonominnen und Ökonomen berechnen, indem sie den handelsgewichteten Wechselkurs um die Inflationsdifferenz zwischen der Schweiz und dem Ausland korrigieren. So bekommt man ein Bild davon, wie stark der Franken wirklich ist. Und die Berechnungen zeigen: Der Franken ist heute insgesamt schwächer als 2011.

Es ist darum nicht erstaunlich, dass die Diskussionen um den vermeintlich starken Franken zuletzt fast gänzlich verstummt sind. Der Franken ist im Vergleich zum September 2011 nämlich eher schwach. Der “starke Franken” ist momentan vor allem eins: ein Mythos.

Im Geldcast-Talk mit Tobias Straumann, Wirtschaftshistoriker an der Universität Zürich, hören Sie eine vertiefte Diskussion über die Inflationsunterschiede zwischen der Schweiz und dem Ausland, die Frankenstärke und den handelsgewichteten Wechselkurs:

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