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Weltreise mit Job – ist das möglich?

Eine Frau arbeitet am Strand
Ria Novosti/AFP

Digitale Nomaden trafen sich in der Schweiz zu einer Konferenz, um ihr Wissen über Arbeitsrecht für Remote Work oder Krankenversicherung bei einem Auslandaufenthalt auszutauschen. Denn die Schweizer Bürokratie ist auf ortsungebundenes Arbeiten nicht eingestellt.

Reisen und Arbeiten verbinden, das möchten offenbar Schweizer und Schweizerinnen jeglichen Alters. “Die jüngste Teilnehmerin an den Workshops ist 22 Jahre alt, der Älteste über 60”, sagt Lorenz Ramseyer vom Verein Digitale Nomaden SchweizExterner Link gegenüber swissinfo.ch. Er ist Mit-Initiant der Digitale Nomaden Konferenz SchweizExterner Link. Das Interesse am Thema ist gross: Über 100 Personen nahmen teil, der Anlass war ausverkauft.

Bereits zum zweiten Mal trafen sich digitale Nomaden in der Schweiz, um praktische Informationen über ortsunabhängiges Arbeiten auszutauschen. Denn Schwierigkeiten gibt es viele: “Wir haben häufig das Gefühl, etwas halblegales zu tun oder uns in Grauzonen zu bewegen”, sagte Gabriella, die mit ihrem Partner SandroExterner Link seit 2016 unterwegs ist und sich aus der Schweiz offiziell abgemeldet hat, an ihrer Präsentation. Als die beiden auf Reisen zu arbeiten begannen, stellte sich die Frage, wo die Einkünfte zu versteuern sind. “Wir fragten bei einem Schweizer Steuerbeamten nach”, erzählte Sandro. “Dessen Antwort: Ich weiss es nicht.”

Andere offene Fragen betreffen die KrankenkasseExterner Link, Versicherungen, Altersvorsorge oder Arbeitsrecht. Das Schweizer Rechtssystem ist darauf angelegt, dass man sich fix an einem Ort niederlässt. Eine Vertreterin der Gewerkschaft Syndicom mahnte an der Konferenz: “Diese Art zu arbeiten ist die Zukunft.” Es könne deshalb nicht sein, dass digitale Nomaden so dafür kämpfen müssten, Lösungen für diese Probleme zu finden.

Lorenz Ramseyers Tipp an Menschen, die gerne digitale Nomaden wären: “Es mal ausprobieren, auch in der Schweiz. Nicht zu schnell reinspringen, sondern sich zuerst ein Netzwerk aufbauen.”

Kritik am Herumreisen

In der Welt herumreisen und dabei remote für Schweizer Arbeitgeber tätig zu sein, klingt attraktiv. Aber kommt man sich nicht als Profiteur vor, wenn man in einem Entwicklungsland wohnt und zu Schweizer Löhnen arbeitet? “Ich glaube nicht”, so Ramseyer. Schweizer digitale Nomaden seien häufig in lokalen Entwicklungsprojekten engagiert. “In Bali beispielsweise bauen sie mit der lokalen Bevölkerung zusammen ein Co-Working-Space auf.”

An der Konferenz waren diesbezüglich jedoch durchaus selbstkritische Töne zu hören. Nebst der Ökologie – Fliegen ist klimaschädlich – erinnerte Gabriella daran, dass es ein Privileg sei, als digitaler Nomade leben zu können. “In unseren Breitengraden ist es einfach”, sagte sie und erzählte im Kontrast dazu von ihren Cousins in Argentinien, die momentan einzig und allein vor der Frage stünden, wohin sie auswandern könnten, um zu überleben.

Ortsunabhängiges Arbeiten als Allheilmittel?

Alexandra Kühn von der Work Smart InitiativeExterner Link, die flexible Arbeitsformen in der Schweiz fördert, zeigte die Vorteile des ortsunabhängigen Arbeitens auf: Flexibilität steigere gemäss Studien die Produktivität, es werde mehr gearbeitet. “Davon profitieren alle, auch die Arbeitgeber.”

Ortsunabhängiges Arbeiten könne sogar die CO2-Emissionen senken und zu einer gleichmässigeren Verkehrsauslastung führen, weil nicht oder weniger gependelt werde. “Das Potenzial von Home-Office ist diesbezüglich riesig”, meinte sie unter Bezug auf eine Studie von my climateExterner Link.

Kühn sieht im ortsunabhängigen Arbeiten sogar ein Mittel gegen den Fachkräftemangel, unter dem die Schweiz und andere europäische Länder leiden: “Es gäbe stille Reserven von Personen, die arbeiten könnten, aber zu anderen Bedingungen” sagte Kühn und verwies auf Mütter, die in der Schweiz meist Teilzeit oder gar nicht arbeiten.

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Digitale Nomaden in den Schweizer Bergen

Digitale Nomaden müssen nicht weit reisen, um Arbeit mit Freizeit und Natur zu verbinden. Die Schweiz sei für ein “lokales” digitales Nomadentum bestens geeignet, meinte Michael HörnlimannExterner Link, der seit April 2018 Reisen und Arbeiten verknüpft. “Die Schweiz hat eine tolle Infrastruktur, zum Beispiel Arbeitsplätze in öffentlichen Bibliotheken, überall sauberes Trinkwasser und gutes Internet.”

Die Wirtschaftsgeographen Heike Mayer und Reto Bürgin von der Universität Bern interessieren sich für “digitale Nomaden”, die abwechslungsweise in den Schweizer Metropolitanräumen und den Alpenregionen arbeiten. In einem vom Nationalfonds unterstützten Forschungsprojekt untersuchen sie die “digitale MultilokalitätExterner Link“.

Um zu erfahren, wie diese Angestellten oder Selbständig Erwerbenden arbeiten, haben sie Handys und Computer der Testpersonen getrackt. So sahen sie, welche Apps und Programme wo am häufigsten genutzt wurden.

Die ersten – noch nicht publizierten Zahlen – zeigen Erstaunliches: Die Testpersonen leisteten in den Bergen mehr Arbeitsstunden als in der Stadt. Der Grund? Sie wurden nicht von anderen Personen abgelenkt, die mal eben kurz auf einen Kaffee vorbeischauten. “Auf dem Berg hat man nur einen Computer, keine anderen Mitarbeiter”, erklärte Bürgin. Genau deshalb sei es so attraktiv, für eine bestimmte Zeit in die Peripherie zu gehen, um in Ruhe aufgestaute Arbeiten zu erledigen.

Mehr zum Arbeiten in den Bergen dank Digitalisierung erfahren Sie in unserem Special:

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Dank Digitalisierung in den Bergen leben und arbeiten

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Zwei Drittel der Fläche der Schweiz sind Berggebiete. Die meisten Bergregionen haben mit Abwanderung zu kämpfen, denn es fehlen Arbeitsstellen. Könnte die digitale Revolution die Rettung sein? Wir haben Personen besucht, die dank moderner Infrastruktur in den Bergen leben und arbeiten können.

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