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«Ich freue mich, dass sie diesen Kampf nicht mehr führen müssen»

(Keystone-SDA) Tatjana Haenni spricht von einem Freudentag: Ein erster schwieriger Schritt Richtung Gleichberechtigung sei beim Schweizerischen Fussballverband gemacht.

Tatjana Haenni ist seit 2019 beim Schweizerischen Fussballverband (SFV) verantwortlich für Frauenfussball, seit 2020 als Direktorin. Die 55-jährige Bernerin setzt sich schon seit Jahrzehnten für die Entwicklung der Sportart und für Chancengleichheit für Frauen ein. Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht sie darüber, weshalb gleich hohe Erfolgsprämien des Verbandes für Frauen und Männer noch nicht zu Gleichstellung führen, wo sie sonst Handlungsbedarf sieht, und sie sagt, was sie dem Schweizer Team an der EM in England zutraut.

Tatjana Haenni, der Schweizerische Fussballverband hat zusammen mit dem Hauptpartner Credit Suisse die Prämien für die Nationalspielerinnen deutlich angehoben. Sie werden an der Europameisterschaft im Juli in England im Erfolgsfall gleich hohe Prämien erhalten wie ihre männlichen Kollegen zuletzt an der Euro 2021. Wie haben Sie diesen Entscheid aufgenommen?

«Es ist ein Freudentag, ein historischer Tag. Wir haben jahrelang über dieses Thema diskutiert und auch oft Anfragen bekommen, wie es beim Verband bezüglich Gleichstellung aussieht. Ich habe immer gesagt, dass es so schnell wie möglich unser Ziel sein muss, dass die Frauen zu den Männern gleichgestellt werden. Dass wir dies bezüglich der Prämien erreicht haben, hätte ich vor einem Jahr noch nicht gedacht. Ich freue mich für die Spielerinnen, aber auch für künftige Generationen, dass sie jetzt zumindest auf dieser Ebene den Kampf um Gleichberechtigung nicht mehr führen müssen und bin extrem dankbar, weil ich weiss: Der erste Schritt ist oftmals der schwierigste.»

Wie sieht das Prämiensystem konkret aus?

«Für die Spielerinnen gibt es ein Tagesentschädigungsmodell. Pro Tag erhalten sie einen gewissen Betrag zwischen 100 bis etwa 450 Franken, wobei für die Berechnung die Anzahl absolvierter Länderspiele massgebend ist. Dann haben wir zusammen mit dem Spielerinnenrat die Prämien für sportliche Erfolge ausgehandelt: für die EM-Qualifikation, das Erreichen der Viertel- oder Halbfinals sowie den Final und den Titelgewinn. Diese sind nun viereinhalb Mal so hoch als ursprünglich vereinbart, um auf demselben Niveau zu sein wie die Männer.»

Auch andere Verbände wie Deutschland, Frankreich, England, Norwegen, Spanien oder die Niederlande zahlen ihrem Frauen-Nationalteam dieselben Prämien aus wie den Männern. Wie steht die Schweiz im internationalen Vergleich da?

«Es sind nicht alle Zahlen bekannt, aber zu denen, die bekannt sind, kann ich sagen, dass wir sehr gut dastehen und sogar deutlich höhere Prämien auszahlen als andere.»

Wie waren Sie in den Prozess der Prämienanhebung involviert?

«Eher am Rand, wenn es um die Vertragsverhandlungen ging, aber wenn es darum geht, das Thema voranzutreiben, bin ich vorne mit dabei. Als Direktorin Frauenfussball besteht meine Rolle primär darin, den Frauenfussball in der Schweiz ganzheitlich zu entwickeln. Dazu gehört die Professionalisierung, die Liga, oder auch Entschädigungen für die Spielerinnen. Insofern ist bekannt, dass ich eine Befürworterin von Equal Pay bin. Ich weiss aber auch, dass es viele andere Bereiche gibt, in die wir investieren müssen, dass die Sache mit der Angleichung der Prämien nicht erledigt ist. Im Gegenteil. Es braucht Investitionen auf vielen unterschiedlichen Ebenen.»

Zum Beispiel?

«Im Nachwuchs. Es ist heute immer noch so, dass ein 14-jähriges Mädchen nicht dieselben Entwicklungsmöglichkeiten hat wie ein 14-jähriger Junge. Das möchte ich gerne verändern. Denn wenn wir das Schweizer Nationalteam weiter an Endrunden sehen wollen, braucht es eine gute Nachwuchsförderung. Da klafft momentan eine Lücke.»

Auch wenn Captain Lia Wälti nun bezüglich Prämien und den Einnahmen durch Bildrechte Granit Xhaka gleichgestellt ist, wird der Captain des Männernationalteams an einer Endrunde immer noch deutlich mehr verdienen. Weil die FIFA und die UEFA im Männerfussball exorbitant höhere Beträge an die Teams ausschütten. Männer erhalten vierzehn Mal mehr als Frauen.

«Das stimmt. Dass die Differenz so krass ist, finde ich nicht zeitgemäss und nicht korrekt. In diesem Bereich müsste unbedingt eine Annäherung stattfinden. Aber man sollte auch nicht einfach nur das Geld an die Spielerinnen weiterreichen, das von den Dachverbänden bezahlt wird. Frauenfussball ist ein Investitionsprojekt, weil es in der Schweiz das grösste Potenzial hat. Bei den lizenzierten Spielerinnen hatten wir im Vergleich zum letzten Jahr einen Zuwachs um 16 Prozent. So einen Sprung hat es in den letzten Jahren nie gegeben, auch die Fans in den Stadien werden mehr, das kommerzielle Interesse steigt. Das alles zeigt, wie sich der Sport hier entwickelt. Damit sich Frauenfussball allgemein besser entwickeln könnte, bräuchte es sicher noch grössere Investitionen.»

Sie haben vier Jahre bei der UEFA und 18 Jahre bei der FIFA gearbeitet, um die Entwicklung des Frauenfussballs voranzutreiben. Sie kennen also die beiden Dachverbände auch von Innen. Was braucht es, damit diese Prämiendiskrepanz zwischen Männern und Frauen kleiner wird oder verschwindet?

«Die UEFA hat die Preisgelder für dieses Jahr im Vergleich zur letzten EM 2017 markant erhöht (von 8 auf 16 Millionen Euro –Red.). Und im Hinblick auf die WM 2023 in Australien und Neuseeland hat die FIFA zwar noch keine Zahlen bekannt gegeben, aber es steht eine Verdoppelung im Raum was die Prämien im Vergleich zur WM 2019 in Frankreich (30 Millionen Dollar) angeht. Solche Dinge sind durchaus lobenswert. Was hingegen nicht lobenswert ist, ist, wenn die Lücke zwischen Männern und Frauen trotzdem grösser wird, die Prämien der Männer gleichzeitig um noch mehr erhöht werden. Ziel der Verbände muss es sein, dass die Entwicklung in die andere Richtung geht, diese Lücke kleiner wird. Wann das passieren wird, ist nicht absehbar, aber es ist absehbar, dass es passieren wird.»

Was trauen Sie der Schweiz in England zu? In ihrer Gruppe C spielen mit dem WM-Dritten Schweden und Titelverteidiger Niederlande zwei Schwergewichte.

«Wir sind sicher der Underdog und happy, dass wir überhaupt dabei sein können. Das erste Spiel gegen Portugal wollen wir sicher gewinnen. Schweden und die Niederlande sind sicher stärker einzuschätzen, aber wir werden sehen was drin liegt. Es wäre schön, wenn wir uns für die Viertelfinals qualifizieren könnten, aber es ist nicht die Erwartungshaltung.»

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