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Das bleibt den Besucher:innen des Zoos Zürich verborgen

Der Film zeigt, was sich hinter den Käfigen – für die Besucher:innen nicht sichtbar - im Zoo Zürich abspielt.
Der Film zeigt, was sich hinter den Käfigen – für die Besucher:innen nicht sichtbar – im Zoo Zürich abspielt. Pantera Film GmbH

Romuald Karmakar hat einen dreistündigen Dokumentarfilm über den Zoo Zürich gedreht. Der Regisseur verrät, was ihn dazu bewogen hat, seinen Blick von Kriegen und Techno-Musik auf Tiere in Käfigen zu richten. 

Abseits der chaotischen politischen Proteste und des Rummels auf dem roten Teppich fand im vergangenen Februar am Rande der Internationalen Filmfestspiele Berlin eine besondere Premiere der etwas leiseren Art statt. Die 600 Plätze im opulenten Delphi-Filmpalast, einem grossen Programmkino, das nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde, füllten sich schnell.

Weder bei der Vorführung noch im Film selbst waren Stars zu sehen, aber die Atmosphäre im Saal zeugte von grosser kollektiver Vorfreude. Romuald Karmakars “Der unsichtbare Zoo”, ein dreistündiges, weitgehend wortloses Porträt des Zürcher Zoos, stand kurz vor seiner Weltpremiere.

“Wir haben von Anfang an gesagt: vier Jahreszeiten, kein Kommentar, keine zusätzliche Musik, keine Interviews im Sitzen”, sagt Karmakar nach der Vorführung.

Karmakar, bekannt als einer der furchtlosesten und politisch kontroversesten deutschen Filmemacher:innen der 1990er und 2000er Jahre, hat einen Grossteil der letzten zwei Jahrzehnte damit verbracht, in Filmen wie “196 BPM” (2003) oder “Wenn ich nachts an Deutschland denke” (2017) verschiedene elektronische Musikszenen in Deutschland zu dokumentieren. Davor reichten seine Themen von Balkan-Söldnern über Serien-Kindermörder und Hahnenkämpfe bis hin zu Heinrich Himmlers Reden und dem Imam der 9/11- Attentäter.

Sein neuester Film dürfte die Grenzen eines jeden Publikums ausloten. Karmakars Stil ist knochentrocken, ohne rhetorische Schnörkel, und bezieht seine Wirkung zu einem grossen Teil aus der Geduld eines nüchternen, berharrlichen Blicks.

Er schildert detailliert, wie der Zoo funktioniert: Management-Sitzungen, Diskussionen unter den Angestellten, öffentliche Spender-Apéros, aber vor allem zeigt er den Grossteil der einfachen, praktischen Arbeit, die nötig ist, um einen so grossen und komplexen Ort wie diesen weltberühmten Zoo zu betreiben.

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Warum der Zoo Zürich?

Meine erste Frage ist: Warum Zürich? Die meisten von Karmakars grossen Filmen spielen in Berlin, und alle nehmen einen problematischen Aspekt der deutschen Geschichte oder Kultur als Ausgangspunkt. So auch sein auf den Philippinen spielender Film “Manila” (2000), der beim Filmfestival von Locarno mit dem Silbernen Leoparden ausgezeichnet wurde.

“Ehrlich gesagt wurde der Film vorbereitet und finanziert, um im West-Berliner Zoo gedreht zu werden, aber nach zehn Drehtagen dort haben wir wegen anhaltender und wiederholter Behinderungen durch die Zooleitung abgebrochen”, lautet Karmakars pragmatische Antwort auf die Frage.

“Das hat sich im Sommer 2018 zerschlagen, also haben wir – mit dem wirtschaftlichen Druck einer kleinen Produktion im Hinterkopf – die Sheridan-Rankings [eine weltweite Rangliste des britischen Experten Anthony Sheridan] für Zoos in Europa überprüft. Die Top Fünf befinden sich alle in deutschsprachigen Ländern. Wien ist die Nummer eins, gefolgt von Leipzig, Basel und Zürich. Ich kannte jemanden, der Verbindungen nach Zürich hatte, und über ihn bekam ich relativ schnell die Genehmigung. Also sind wir nach Zürich gegangen!”

“Die einzige Einschränkung war, dass ich nicht hinter die Kulissen zu den Primaten und zu den Elefanten gehen durfte”, lacht er. “Ich habe erst gestern erfahren, dass das aus Sicherheitsgründen war, weil ich nie danach gefragt hatte. Aber als wir dann in Zürich waren, war ich einfach nur froh, dass ich drehen konnte.”

Auf die Frage, ob es einen Trick gebe, Tiere zu filmen, antwortet Karmakar: “In einem Film über den Zoo Zürich muss man nach dem Wesen des jeweiligen Tieres suchen, das man filmt. Was beobachtet es? Was hört es? Und in Tierfilmen wird selten Originalton verwendet. Nehmen wir “Planet Earth” als Beispiel: Der Eisbär, den Sie sehen, wird nicht von den Originalgeräuschen seines Lebens begleitet, von seinem Knurren, seinen Schritten oder der Luft. Sie würden wahrscheinlich das Geräusch des Produktionshubschraubers hören, der über ihn hinwegdonnert. Wir haben das Gegenteil gemacht.”

Während er spricht, lacht Karmakar oft, als würde er gerade entdecken, wie der Film, den er gemacht hat, in all seiner Komplexität in Echtzeit interpretiert werden könnte. “Als mein Cutter den Film zum ersten Mal mit Synchronton hörte, war sein Kommentar: ‘Das ist so unglaublich laut'”, erinnert er sich. “Und im Fall des Zürcher Zoos, der in der Nähe des Flughafens liegt, gibt es ständig Geräusche von Flugzeugen, die darüber fliegen.”

Romuald Karmakar bei der Premiere seines neuen Films Der unsichtbare Zoo.
Romuald Karmakar (Mitte) bei der Premiere seines neuen Films “Der unsichtbare Zoo”. Hojabr Riahi Film und Medienstiftung-NRW

Tod eines Zebras

In “Der unsichtbare Zoo” sehen wir die Tiere in ihren verschiedenen künstlichen Lebensräumen. Wir sehen, wie ihr Futter zubereitet, industriell zerteilt und in Röhren und Trichtern serviert wird. Wir sehen die apathischen Gesichter der Tiere. Wir sehen ihre Routine und in einem bemerkenswerten Fall ihren Tod.

In einer langen, erschütternden Szene wird ein Chapman-Zebra erschossen, geköpft, ausgeweidet und an die Löwen verfüttert – ein gesundes Tier, für das der Zoo nach eigenen Angaben alles getan hat, um es nach dem Tod seines einzigen Artgenossen umzusiedeln.

Nach vergeblicher Suche nach einer anderen Einrichtung, die das Tier aufnehmen wollte, beschloss der Zoo, das Tier zu töten. In dieser langen Sequenz zeigt Karmakar die Gewalt, die notwendig ist, um einen Ort der Ruhe und der Stille zu erhalten.

“Es gibt die Schönheit der Tiere und die Ikonographie der Tiere in unserer Gesellschaft – Kinderpyjamas, Tiere im Kino, was auch immer”, sagt er. “Aber damit dieses ‘öffentliche’ Gesicht funktioniert, muss man diese Art von Entscheidungen treffen. Und beides zu zeigen, ist ein wesentlicher Teil der Arbeit eines Filmemachers. Auch Zebras werden unter anderem durch die Madagascar-Filme [eine von Dreamworks produzierte Zeichentrickserie für Kinder] als geliebte Tiere kodiert. Und dieses Tier ist gesund, was es noch bizarrer macht. Das wirft also entscheidende Fragen über die Beziehung zwischen Mensch und Tier und die Art und Weise, wie sie institutionell funktioniert, auf.”

Er fährt fort, als wolle er die unauflösbare Spannung des Mysteriums des Projekts aufgreifen. “Die Person, die das Zebra erschossen hat, wollte nicht gefilmt werden, aber sie wollte auch nicht, dass ich das fallende Zebra im Moment des Todes filme. Ersteres kann ich akzeptieren und verstehen, aber ich hatte grosse Schwierigkeiten zu verstehen, warum er nicht wollte, dass ich das sterbende Zebra filme.”

ein Schimpanse im Stroh
Karmakars Team hatte uneingeschränkten Zugang zum Zoo Zürich – ausser beim Filmen von Primaten und Elefanten hinter den Kulissen. Pantera Film GmbH

Covid schlägt zu

“Wenn man in einem Zoo wie Zürich dreht, ist das immer ein Eingriff in den Alltag der Menschen, die dort arbeiten, insbesondere der Tierpfleger”, sagt Karmakar. “Das ist schwierig, weil man einen Weg finden muss, mit dieser Person zusammenzuarbeiten. Du triffst ihn zehn Minuten vor Drehbeginn und musst eine Verbindung zu ihm aufbauen.”

Ein Teil der Kaft seines schnörkellosen, bedächtigen Stils zeigt sich im letzten Akt des Films, wenn Covid-19 wie aus dem Nichts auftaucht. In den 140 Minuten zuvor gibt es keinen sichtbaren Hinweis auf die Enstehungszeit des Films, kein Anzeichen für eine drohende Pandemie, die dramatisch in das Leben der Menschen auf der Leinwand eingreifen würde.

Karmakar zeigt uns das Spektakel dieser Tiere, eingesperrt in aufwendigen, künstlichen Vorführungen ohne Zuschauer, nur mit leeren Gängen und Aussichtsplattformen. Plötzlich wirkt sein hyperrealistisches Projekt wie ein Stück von Samuel Beckett – man denke nur an Warten auf GodotExterner Link. “Die Affen wissen nicht, warum die Menschen nicht mehr kommen”, sagt er. “Niemand kann es ihnen sagen. Für sie ist etwas einfach nicht normal; und für uns war es das auch nicht.”

Von kolonial zu natürlich

Wann wurde der Zoo für ihn zum unsichtbaren Zoo? “Im 19. Jahrhundert übernahmen die meisten grossen Zoos in Europa eine bestimmte Pavillonarchitektur, die aus dem kolonialen Erbe stammte. Aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit dem Hamburger Zoo, kam es zu einem Strategiewechsel, den ich ‘einen Zoo unsichtbar machen’ nenne”, erklärt er.

“Man will die Struktur der Pavillons, des indischen Tempels, des ägyptischen Ambientes wegnehmen. Der Zoo Zürich hat interessante Gehege, die keine Gebäude haben. Sie sind komplett in die Naturlandschaft eingebettet. Man sieht nichts. Man könnte fälschlicherweise annehmen, man sehe eine Waldszene. Sie zeigen nicht, was hässlich ist, sondern versuchen, als Institution zu verschwinden. Aber wie wir wissen, steckt in allem, was einfach aussieht, viel Arbeit. Es kann sogar noch mehr Arbeit sein.”

“Was wollen Sie sehen, wenn Sie in einen Zoo gehen? Das ist wichtig”, sagt er und zitiert ein Gedicht des vorsokratischen Naturphilosophen Empedokles, mit dem der Film beginnt: “‘Du kannst nur sehen, was du anerkennst’. Wir sind Teil des unsichtbaren Zoos, denn wir entscheiden, was wir sehen wollen.”

Editiert von Virginie Mangin & Eduardo Simantob/gw. Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

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