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Schlaglicht auf die kleinste der offiziellen Schweizer Kirchen

Priesterin in ihrer Kirche
In der christlich-katholischen Kirche ist es möglich, Priesterin zu sein, wie Marlies Dellagiacoma, hier im Oktober 2009 in der Kirche in Olten, Kanton Solothurn. Keystone / Alessandro Della Bella

Die christkatholische Kirche der Schweiz feiert dieses Jahr ihr 150-jähriges Bestehen. Wir werfen einen Blick auf eine Religionsgemeinschaft, die offiziell anerkannt, in der breiten Öffentlichkeit aber kaum bekannt ist.

Christkatholische Kirche: Ein Ausdruck, auf den man etwa in Dokumenten oder Statistiken zum Stand der Religionen in der Schweiz stösst. Vielfach bleibt die Bezeichnung bloss ein Begriff, nicht sehr viele Leute wissen genauer, was dahinter steckt.

Dies, obschon die christkatholische KircheExterner Link bereits seit 1871 Teil der Schweizer Religionslandschaft ist. Das 150-Jahre-Jubiläum ist eine Gelegenheit, die kleinste der von den Kantonen offiziell anerkannten Kirchen kennen zu lernen.

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Reaktion auf Zentralismus Roms

In verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten trennten sich Katholiken, die gegen die zentrale Macht des Papstes waren, von der römisch-katholischen Kirche. Aus diesen Bewegungen gingen oft neue autonome Kirchen hervor. Eine der ältesten ist die Kirche von Utrecht, die 1724 in den Niederlanden gegründet wurde.

In der Schweiz erfolgte diese Abspaltung erst viel später, im Rahmen des so genannten Kulturkampfes, des politischen Kampfes zwischen den Anhängern der neuen liberalen Ideen und den Anhängern der traditionellen Ordnung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Bruchpunkt kam mit dem I. Vatikanischen Konzil (1869-1870), das unter anderem das Dogma der Unfehlbarkeit und des Primats des Papstes festlegte.

In den meisten Ländern werden die katholischen Kirchen, die sich von Rom lossagten, als «altkatholisch» bezeichnet, in der Schweiz als «christkatholisch». Eine Besonderheit, die aber nichts an der Substanz ändert. Die meisten altkatholischen Kirchen – auch jene der Schweiz – sind in der Utrechter Union der Altkatholischen KirchenExterner Link zusammengeschlossen.

Eine kleine Kirche

Die christkatholische Kirche der SchweizExterner Link wurde 1871 gegründet. Ursprünglich hatte sie über 45’000 Mitglieder, im Lauf der Jahrzehnte sank die Zahl auf heute etwa 13’500, rund 0,1 % der Bevölkerung.

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Mehr als die Hälfte der 33 christkatholischen Kirchgemeinden liegen in den Kantonen Bern, Aargau, Solothurn und Basel. In der französischsprachigen Schweiz befinden sie sich in Lausanne, Genf, Lancy-Carouge (GE), Chêne-Bourg (GE), Neuchâtel/Neuenburg, La Chaux-de-Fonds (NE), Bienne/Biel (BE) und St-Imier/St. Immer (BE).

Trotz ihrer geringen Zahl von Gläubigen sieht sich die Kirche nicht vom Verschwinden bedroht. «Der Tod der christkatholischen Kirche steht nicht unmittelbar bevor», sagt Jean Lanoy, Gemeindepfarrer im Kanton Genf. «In unserem Kanton kommen auf jeden dritten Verlust, wobei dies meistens Todesfälle sind, zwei Neueintritte, vor allem durch Taufe oder Heirat.»

«Es stimmt, in den Städten zieht unsere Kirche neue Menschen an, aber auf dem Land haben wir etwas Mühe, uns zu erneuern», fügt Anne-Marie Kaufmann, Pfarrerin in Bern, hinzu. «Es gibt auch Mitglieder, die aus der Kirche austreten, weil sie keine Kirchensteuer mehr zahlen wollen. Aber wir sind vom Mitgliederschwund weniger stark betroffen als die Reformierten und die Römisch-Katholischen: Im Kanton Bern zeigen die Zahlen, dass diese Kirchen kleiner werden, während wir stagnieren.»

«Wir sind nicht in Gefahr, zu verschwinden, unsere Mitgliederzahl ist relativ stabil. Wir haben auch keinen Mangel an Geistlichen, um die Gottesdienste sicherzustellen», fährt sie fort. «Wie alle anderen Kirchen sind wir jedoch auch besorgt über die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft.»

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Katholiken, doch etwas anders

In Fragen der Liturgie sind die Christkatholiken der römisch-katholischen Kirche ziemlich nah geblieben. «Ein Römisch-Katholik, der einen unserer Gottesdienste besuchen würde, käme sich nicht fremd vor; abgesehen von ein paar Details ist die Basis dieselbe geblieben», sagt Jean Lanoy.

Die Unterschiede mögen zwar nicht offensichtlich sein, sie sind aber wichtig. «Unsere Liturgie drückt die Tatsache viel stärker aus, dass der Priester den Gottesdienst im Namen der Gemeinde, der Gemeinschaft, der Gläubigen feiert, die nicht alle am Altar anwesend sein können», erklärt Anne-Marie Kaufmann. «Der Priester sollte nicht eine Art Kaste repräsentieren, einen Vermittler zwischen Gott und den Gläubigen. Denn die gesamte Gemeinde ist Teil des Gottesdienstes.»

Die starke Integration der Mitglieder in die Kirche ist eine der Besonderheiten der christkatholischen Kirche. Das zeigt sich auch in den Strukturen der Institution. So erfolgt zum Beispiel die Ernennung des Bischofs – es gibt nur einen für die ganze Schweiz – durch ein Votum der Nationalsynode. Diese ist eine Art Kirchenparlament, in dem sowohl Geistliche als auch Laien, Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden,  sitzen.

Was die Glaubenslehren angeht, orientiert sich die christkatholische Kirche nur an jenen Lehren, die während des ersten Jahrtausend des Christentums entwickelt wurden, bis zum Grossen Schisma von 1054 zwischen Rom und Konstantinopel. «Das grosse Prinzip ist, das zu glauben, an das alle glaubten, überall und zu jeder Zeit», sagt Jean Lanoy.

Die später von der römisch-katholischen Kirche übernommenen Dogmen, wie etwa das Dogma der unbefleckten Empfängnis oder der Himmelfahrt Marias, werden nicht anerkannt.

Eine liberale Kirche

Die Geschichte der christkatholischen Kirche der Schweiz zeigt, dass sie oft sehr früh zu Reformen schritt, die in der römisch-katholischen Kirche erst viel später erfolgten. So wurde zum Beispiel in den Gottesdiensten von Anfang an auf das Lateinische zugunsten der Landessprachen verzichtet, während dies bei den Römisch-Katholiken erst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) möglich wurde. Das Gleiche gilt für die Integration der Laien, die ebenfalls viel schneller erfolgte.

Und in einigen Punkten, die in der römisch-katholischen Kirche noch in weiter Ferne zu liegen scheinen, hat die christkatholische Kirche bereits Veränderungen vorgenommen: So sind Geistliche nicht dem Zölibat unterworfen, Geschiedene dürfen wieder kirchlich heiraten und Frauen können zu Priesterinnen geweiht werden.

Die nächste Entwicklung könnte im Bereich der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften erfolgen. Schon seit 2006 können gleichgeschlechtliche Paare ihre Partnerschaft in der christkatholischen Kirche rituell segnen lassen. Und der nächste Schritt könnte durchaus die kirchliche Trauung sein.

Im August 2020 akzeptierte eine ausserordentliche Synode nach einer allgemeinen Diskussion über die «Ehe für alle»Externer Link in einer Konsultativ-Abstimmung die Idee, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften «liturgisch gleich gefeiert und theologisch gleich verstanden werden sollten wie gemischt-geschlechtliche Partnerschaften».

Der sehr liberale Ansatz geht vielleicht auf die Ursprünge der Kirche zurück. «Es liegt uns etwas in den Genen, denn schon die Leute, die unsere Kirche gründeten, hatten liberale Ansichten», sagt Anne-Marie Kaufmann. «Aber allgemeiner betrachtet sind wir uns, weil wir eine sehr kleine Kirche sind, der Minderheiten stark bewusst und achten mehr auf jede Meinung.»

Bischöfe unterzeichnen ein Dokument.
Der Bischof der katholisch-christlichen Kirche Harald Rein (rechts) mit Vertretern anderer Kirchen bei der Unterzeichnung der ökumenischen Taufanerkennung am Ostermontag 2014. © Keystone / Ti-press / Pablo Gianinazzi

«Volle Übereinstimmung» mit der anglikanischen Kirche

Ein bedeutendes Merkmal der christkatholischen Kirche ist ihr langes und tiefes Engagement für die Ökumene. Auch dies lässt sich mit der Geschichte erklären. «Geht man aus einem Schisma hervor, ist es schwierig zu behaupten, dass man Recht hat und alle anderen falsch liegen», sagt Anne-Marie Kaufmann.

«Deshalb war die Ökumene für uns von Anfang an lebenswichtig, denn die Exkommunikation durch die römisch-katholische Kirche hinterliess eine  Wunde, und um diese zu heilen, brauchte man einen grösseren Schoss, zusammen mit anderen Kirchen.»

«Die Altkatholiken riefen sehr schnell internationale Kongresse ins Leben», ergänzt Jean Lanoy. «Die Utrechter Union war Mitbegründerin des Ökumenischen Rates der KirchenExterner Link in Genf, in dem 350 Kirchen aus über 110 Ländern zusammengeschlossen sind, und der mehr als eine halbe Milliarde Christen vertritt. Das ist die grosse Idee, die grosse Stärke: Einen gemeinsamen Weg zu beschreiten. Es ist die Theologie des Weges nach Emmaus, also das Erkennen des Gesichtes Christi im anderen. Vielen Menschen wurde die Hand gereicht. Um diese Kirche zu verstehen, muss man sie zunächst als eine Bewegung verstehen.»

Diese Annäherung an andere Kirchen erfolgt unter anderem durch theologischen Austausch und Studien. «Wir haben Theologie immer mit den Protestanten studiert, an der Universität Bern. Auch mit den Orthodoxen teilen wir gleiche Theologie, obschon wir kulturell etwas weiter auseinander liegen», sagt Anne-Marie Kaufmann.

Mit gewissen Kirchen geht die Annäherung aber sehr viel weiter. Der bedeutendste Fall ist die anglikanische Kirche, mit der aufgrund der grundsätzlich vollen theologischen Übereinstimmung eine so genannte kirchliche GemeinschaftExterner Link besteht. 

«Das bedeutet, dass wir mit den Anglikanern austauschbar sind. Wir können gegenseitig unsere Kirchen nutzen und Priester können sich gegenseitig ersetzen», erklärt Jean Lanoy. Diese Art Übereinstimmung könnte auch auf andere Kirchen ausgedehnt werden; so laufen zum Beispiel Gespräche mit den Lutheranern.

Könnte es irgend wann auch mit der römisch-katholischen Kirche zu einer solchen Annäherung kommen? «Wir haben die Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil hinter uns gelassen und die Beziehungen sind jetzt brüderlich», sagt Jean Lanoy dazu. «Wir sind getrennte Brüder, die so viel wie möglich zusammenarbeiten. Wir haben eine umfassende Zusammenarbeit, aber keine Übereinstimmung, der grösste Stolperstein bleibt die Ordination der Frauen.»

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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