The Swiss voice in the world since 1935
Top Stories
Schweizer Demokratie
Newsletter
Top Stories
Schweiz verbunden

Biogärtner Rudi Berli: der neue Auslandschweizer im Bundesparlament

Porträt von Rudi Berli
Ernährung steht im Mittelpunkt von Rudi Berlis Engagement: Der gemeinschaftliche Hof, auf dem er arbeitet, liefert jede Woche Gemüsekörbe an 400 Genfer Haushalte. Thomas Kern / Swissinfo

Rudi Berli wird kein typischer Abgeordneter: Der Biogärtner, der die Nachfolge von Nicolas Walder antritt, wird der vierte Auslandschweizer im Nationalrat. Der Politiker der Grünen lebt in Frankreich und arbeitet im Umland von Genf – es ist nicht die einzige Besonderheit.

Rudi Berli hat nur sechs Wochen Zeit, um sein Leben umzukrempeln. Der 61-jährige Gemüsegärtner erfuhr am 19. Oktober, bei der Wahl des Grünen Nicolas Walder in die Genfer Regierung, dass er im Nationalrat nachrücken wird. Bereits am 1. Dezember tritt er sein Amt an.

Der Wettlauf gegen die Zeit hat begonnen: Er muss sein Amt als Gewerkschaftssekretär bei der Bauernorganisation Uniterre abgeben, eine Wohnung in Bern finden und sein Arbeitspensum auf dem gemeinschaftlichen Hof reduzieren.

Seine Gärtner-Werkzeuge endgültig gegen den Anzug eines Nationalrats einzutauschen, kommt für ihn jedoch nicht infrage. «Ich möchte weiterhin arbeiten, um den Kontakt zur Basis zu behalten und ein Gleichgewicht zwischen körperlicher und intellektueller Arbeit zu wahren», sagt Rudi Berli bei einem Besuch. Er sitzt in der Sonne neben den Gemüsegewächshäusern, deren Ernte jede Woche in Körben an 400 Genfer Haushalte geliefert wird.

Nur ein in Herbstfarben getauchter Rebberg trennt den Hof von der französischen Grenze. Rudi Berli überquert sie jeden Tag: Er lebt in der kleinen französischen Gemeinde Pougny, nur wenige hundert Meter von der Schweiz entfernt.

Eine Besonderheit, die ihn zum vierten Auslandschweizer der Geschichte macht, der im Bundesparlament sitzt. Der letzte Vertreter der Fünften Schweiz unter der Bundeshauskuppel war der ehemalige Botschafter in Berlin Tim Guldimann. 2015 gewählt, warf er nach zwei Jahren das Handtuch und begründete dies mit der Schwierigkeit, sein Mandat in Bern wahrzunehmen, während er im Ausland wohnte. Die ersten Auslandschweizer im Parlament waren in den 1990er-Jahren Ruedi und Stephanie Baumann, ein Ehepaar, das während ihrer letzten Legislaturperiode im Nationalrat nach Frankreich zog.

Unter der Bundeshauskuppel will sich Rudi Berli für die Interessen der Diaspora einsetzen, insbesondere für die elektronische Stimmabgabe. «Das würde das Problem vieler Ausgewanderten lösen, die ihre Wahlunterlagen zu spät erhalten», sagt er.

Grenzgänger: Spannungen entschärfen

Er sieht sich jedoch eher als Grenzgänger. «Ich setze mich für eine grenzüberschreitende Governance ein, sei es in Genf, Basel, Schaffhausen oder im Tessin, und für die Wahrung der sozialen Rechte der Menschen, die in diesen Regionen leben», sagt er.

Innerhalb der Genfer Delegation im Nationalrat wird Rudi Berli auf die Abgeordneten der Mouvement citoyen genevois (MCG) treffen, einer Partei, die für ihre ablehnende Haltung gegenüber Grenzgängerinnen und Grenzgängern bekannt ist.

Einer von ihnen ist Daniel Sormani. Er erklärt sich jedoch bereit, mit dem neuen Gewählten zusammenzuarbeiten. «Ich habe ihn auf Facebook angeprangert, aber ich werde ihm die Hand reichen, um ihn willkommen zu heissen», sagt er. Seiner Meinung nach ist Rudi Berli kein «richtiger Grenzgänger», da er Schweizer ist. «Ich finde es kurios, dass man ins Parlament gewählt werden kann, wenn man im Ausland wohnt, aber es ist völlig legal und demokratisch, also akzeptiere ich es.»

Seinerseits bezeichnet Rudi Berli die Bemerkungen über seinen Wohnort als «unangenehm». «Ich werde jedoch versuchen, durch meine Arbeit zu zeigen, dass ich vollständig in die nationale Realität eingebunden bin», kündigt er an.

Der Politiker weist auch auf die Problematik der Wohnungsknappheit und den explosionsartigen Anstieg der Immobilienpreise in der Genferseeregion hin. «Wir wollten die Schweiz nicht verlassen, aber unsere Einkommen erlaubten es uns nicht, uns in Genf eine Wohnung zu leisten», sagt der Vater von drei Kindern im Alter von 6 bis 20 Jahren. Er will diese Problematik, von der viele Menschen betroffen sind, ins Parlament tragen.

Ein untypischer Werdegang

Obwohl Rudi Berli noch nie im Parlament sass, dürfte ihm sein besonderer Werdegang helfen, seine Anliegen im Bundeshaus zu verteidigen. Sein erster Trumpf: die Sprache. Deutsch und die Schweizer Dialekte sind für den Mann, der in der Umgebung Zürichs aufgewachsen ist, nichts Neues. «Das dürfte mir helfen, der Stimme Genfs in Bern Gehör zu verschaffen», sagt er.

Er kennt die Mechanismen der Politik gut, mit denen er sich bereits als Jugendlicher in den Jugendbewegungen der 1980er-Jahre in Zürich vertraut gemacht hat. Mit 18 Jahren zog er nach Genf, um eine Ausbildung am Gartenbau-Zentrum Lullier zu absolvieren. Er verliebte sich in die Region, blieb dort und setzte sein aktivistisches Engagement fort, insbesondere über die Gewerkschaften.

Porträt von Rudi Berli
Rudi Berli kennt die Mechanismen der Politik gut, mit denen er sich bereits als Jugendlicher in den Jugendbewegungen der 1980er-Jahre in Zürich vertraut gemacht hat. Thomas Kern / Swi Swissinfo.ch

Durch seine mehr als zwanzigjährige Tätigkeit in der Bauernorganisation Uniterre hat er sich mit den Geheimnissen der Macht vertraut gemacht. «Ich kenne die politische Architektur und viele Leute in Bern gut», sagt er.

Rudi Berli ist auch ein untypischer Grüner. Er findet, dass seine Partei in bestimmten Fragen manchmal «ein bisschen dogmatisch» ist, zum Beispiel beim Fleischkonsum. «Ich persönlich achte beim Fleischkonsum auf die Herkunft und die Haltungsbedingungen und finde, dass das mit einem ökologischen Engagement vereinbar ist.»

Europa, ja… aber mit Vorsicht

Obwohl er den bilateralen Weg zur Regelung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union unterstützt, zeigt sich Rudi Berli skeptisch gegenüber dem neuen Vertragspaket, das der Bund mit Brüssel ausgehandelt hat. «Ich habe ein Problem mit dem Paketansatz», sagt er. «Dieser verhindert, dass die Bevölkerung die Tragweite dieser Verträge ermessen kann.»

Er befürchtet vor allem die Auswirkungen der Abkommen auf die Schweizer Landwirtschaft und plädiert für einen verstärkten Schutz der einheimischen Produktion. «Die Liberalisierung des Käsemarktes im Jahr 2007 hat zum Beispiel der Schweizer Milchwirtschaft geschadet. Fast die Hälfte der Milchbetriebe ist verschwunden», sagt er.

Diese Skepsis stört seine Parteikolleginnen und -kollegen nicht. «Er ist ein super Kollege», sagt die Genfer grüne Nationalrätin Delphine Klopfenstein Borggini. Obwohl die Grünen das Vertragspaket mit Brüssel verteidigen, relativiert sie die Vorsicht des neu Gewählten. «Auch wenn er etwas Abstand zu diesem Thema nimmt, wird das die klare Position der Partei nicht schwächen», sagt sie. Sie begrüsst zudem die Ankunft eines zusätzlichen Vertreters der Landwirtschaft innerhalb der Grünen-Fraktion im Nationalrat.

Die Landwirtschaft als gesellschaftliches Projekt

Rudi Berli will die Landwirtschaft ins Zentrum seines politischen Handelns stellen. Als er 1985 zu den Jardins de Cocagne kam, wo er noch heute arbeitet, gehörte der Hof zu den Pionieren der biologischen Landwirtschaft. «Als junger Lehrling war ich schockiert, dass ich eine Gasmaske tragen musste, um das Gemüse zu behandeln, das schliesslich auf den Tellern landen wird», sagt er.

Nüsse, Brot und Käse liegen auf dem Tisch der kleinen Holzhütte, die den Mitarbeitenden des Betriebs als Küche und Büro dient. Die Ernährung ist ein wichtiger Bestandteil des Engagements von Rudi Berli. «Wir müssen ein gemeinsames Projekt zwischen der Bevölkerung und der Landwirtschaft aufbauen: eine qualitativ hochwertige Ernährung garantieren und den Bauern ermöglichen, von ihrer Arbeit zu leben», fordert er.

Als vehementer Gegner von Freihandelsabkommen bezeichnet er diese als «ideologische Pakete». «Wir wollen zuerst die Bevölkerung rund um unsere Höfe ernähren, bevor wir die internationalen Märkte beliefern. Sonst werden die Natur und die Gesellschaft den Preis dafür zahlen», sagt er.

Um seine Partei in den Umfragen wieder nach vorne zu bringen, ist Rudi Berli der Ansicht, dass das grüne Projekt vor allem sozial bleiben muss. «Ohne diese Komponente werden wir es nie schaffen, eine nachhaltigere Gesellschaft aufzubauen», sagt er.

Wird er für sein neues Mandat Opfer bringen müssen? «Es wird Phasen geben, in denen ich meine Familie nicht sehen werde. Das wird eine grosse Veränderung sein, auch für meine Kinder», sagt er, und blickt auf die zahlreichen Fotos, die die Wände der Hütte schmücken.

Lesen Sie unseren Artikel über die politische Vertretung der Fünften Schweiz:

Mehr
leere Stühle im Nationalratssaal

Mehr

Swiss Abroad

Die Fünfte Schweiz träumt von einem Platz unter der Bundeshauskuppel

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Was wäre, wenn die Fünfte Schweiz wie Frankreich oder Italien ihre eigenen Vertreter:innen im Parlament hätte? Diese Idee beschäftigt die Auslandschweizer-Organisation.

Mehr Die Fünfte Schweiz träumt von einem Platz unter der Bundeshauskuppel

Was ist Ihre Meinung? Debattieren Sie mit:

Externer Inhalt

Editiert von Pauline Turuban; Übertragung aus dem Französischen mit der Hilfe des AI-Tools Claude: Claire Micallef

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft